Sonntag, 1. Dezember 2013

Was Selbst_Fürsorge für mich NICHT ist

Eigentlich mag ich es nicht mehr, meine Texte in Abgrenzungen zu schreiben. Ich will mich nicht durchs Netz bewegen und andere Texte kritisieren. Das habe ich jahrelang an der Uni gelernt und von dem Nutzen profitiert, mich besser als andere zu fühlen, ohne selbst Alternativen anbieten zu müssen.
Allerdings begegne ich immer wieder Bildern von Selbst_Fürsorge, in denen ich mich und meine Gedanken nicht wiederfinden kann. Manchmal werden diese Bilder auch herangezogen, um diese dann zu kritisieren. Deswegen schreibe ich heute darüber, was Selbst_Fürsorge für mich NICHT ist.
Ich finde eine kritische Perspektive auf Selbst_Fürsorge wichtig, die den Zugang zu Ressourcen reflektiert, ohne zu behaupten, dass Selbst_Fürsorge nur etwas für privilegierte Menschen ist. Für mich geht es nicht darum, Selbstfürsorge oder gegenseitige Fürsorge zu kritisieren, sondern die Dinge, die diese Fürsorge notwendig machen.


Selbst_Fürsorge ist kein Aspirin Complex

Selbst_Fürsorge ist für mich keine Medizin, zu der ich greife, wenn ich mich erschöpft fühle. Für mich geht es bei Selbst_Fürsorge nicht um eine Liste an Wundermitteln, auf der ich mir je nach Bedarf das passende aussuche. Selbst_Fürsorge ist keine schnelle Lösung. Selbst_Fürsorge bedeutet für mich zu reflektieren, wie ich mein Leben gestalte, nach welchen Werten ich mich ausrichte und wie ich andere darin wahrnehme. Selbst_Fürsorge ist für mich eine Haltung, mit der ich Bedürfnisse, Kapazitäten und Grenzen von anderen und mir selbst wahrnehme und diese in Zusammenhang mit strukturellen Machtverhältnisse setze.
Fürsorge ist andere zu befähigen, sich handelnd und empowert in die Welt zu werfen. Fürsorge ist Selbstverhältnisse kritisch reflektierend zu ermöglichen und Weltverhältnisse in Frage zu stellen.
(Maureen Maisha Eggers in der Diskussion nach ihrem Vortrag "Pippi Langstrumpf – Emanzipation nur für weiße Kinder?", Zitat aus meinem Gedächtnis)


Selbstfürsorge ist keine Selbstpathologisierung

Ich schreibe hier bewusst Selbstfürsorge, weil ich denke, dass Fürsorge für andere auch pathologisierende und/ oder paternalistische Züge annehmen kann. Ich finde es problematisch, wenn Fürsorge nicht andere stärkt, einen selbstbestimmten Umgang zu finden. In der Vergangenheit hab ich die Erfahrung gemacht, dass ich mit meinem Kümmern auch Abhängigkeiten produzieren kann. Ich bin deswegen interessiert, wie gegenseitige Fürsorge empowernd sein kann.

Ein großes Problem ist, dass ich im staatlichen Gesundheitssystem nur dann Unterstützung erhalte, wenn ich mich diagnostizieren lasse. Je nachdem um welche Diagnosen es sich handelt und wie stark diese psychologisch aufgeladen sind, kann es mit Pathologisierungen einhergehen. Unter Pathologisierung verstehe ich, andere Menschen als krank zu erklären – ohne dabei die Selbstdefinition der Person zu berücksichtigen. Trans*sein gilt beispielsweise immer noch als Krankheit. Ein über Krankenkassen finanzierter Zugang zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen wird nur dann gewährt, wenn er mit einer Diagnose einhergeht.
Die Frage ist aber auch, wer überhaupt (in welchem Maße) Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem. Illegalisierte Menschen können (häufig) keine medizinische Versorgung in Anspruch nehmen. Von Trans* Menschen höre ich immer wieder, dass sie in ihrer Therapie ein möglichst poliertes Bild von sich selbst vermitteln wollen und deswegen dort nicht von den psychischen Folgen von Trans*diskriminierung, die sie erleben, erzählen.
Sich um sich selbst zu kümmern kann auch bedeuteten, alltägliche Bedürfnisse zu erfüllen. Texte zu Ableismus kritisieren, dass Selbstfürsorge häufig als Luxus abgetan wird, obwohl für sie darin eine alltägliche Notwendigkeit besteht (Texte auf englisch: For Badass Disability Justice, Working-Class and Poor-Led Models of Sustainable Hustling for Liberation, An End to Able Bodied Rhetoric, On Gimp-Time: Activism and Commitment). Dabei wird häufig betont: Krankmachende Strukturen, durch die es Menschen schlecht geht und die Menschen als krank erklären, sind das Problem; nicht Selbst_Fürsorge. Selbstfürsorge ist für mich der Versuch, einen Umgang mit diesen Strukturen zu finden und sich selbst und einander gegenseitig darin zu stärken, sich in diesen Strukturen und gegen diese Strukturen zu bewegen.

Audre Lorde: Für mich selbst zu sorgen ist keine Selbsthingabe, sondern Selbsterhaltung und das ist ein politisches Kampfmittel. (Übersetzung von mir)


Selbst_Fürsorge ist kein Rückzug

Es gibt die Momente, wo ich für mich alleine sein will; die Momente, die ich einfach nur für mich, meine Gedanken und Gefühle brauche; die Momente, um bei mir selbst wieder anzukommen und mich selbst zu reflektieren. Das ist auch ein Teil von Selbstfürsorge.
Selbstfürsorge ist aber für mich kein Rückzug auf Dauer. Ich bin eher daran interessiert, wie Schonräume gebildet werden können. Und ich weiß, dass diese Schonräume nur dann entstehen können, wenn ich bereit bin meine Komfortzonen zu verlassen.

Aber ich denke, dass einer der Wege, wie wir Privilegien konfrontieren, ist, unseren emotionalen, spirituellen und körperlichen Komfort in Frage zu stellen.
But I do think one of the ways we confront privilege,  is to question our emotional, spiritual, and physical comfort.
(Caroline Picker: Privilege, reparations, and communities of care, Übersetzung von mir)

Mein Fokus entfernt sich immer weiter von einem engen Verständnis von Selbst_Fürsorge und ich frage mich immer mehr, wie wir caring Communities schaffen können.

Leah Lakshmi Piepzna-Samarasinha schreibt in ihrem Text For Badass Disability Justice, Working-Class and Poor-Led Models of Sustainable Hustling for Liberation, dass Erschöpfung von Aktivist_innen auch daher kommen kann, dass die Bewegungen oder Communities ableistisch und unzugänglich für viele sind.
Wie können wir Raum für unterschiedliche Zugänge und Kapazitäten schaffen? Was ist mein Zugang von feministischem Aktivismus? Welche Zugänge haben andere? Wie ist mein Zugang durch Normen von Produktivität und Effizienz geprägt? Für mich ist es wichtig, über verschiedene Gründe nachzudenken, warum Menschen vermeintlich "weniger" machen. Ich möchte mich selbst über verschiedene Kapazitäten informieren, damit ich andere nicht dazu zwinge, über ihre Erschöpfung, Grenzen und Burnouts zu sprechen, bevor ich von meinen Erwartungen abrücke.

Ich ende mit einem Zitat von Dean Spade (Übersetzung von mir):
Wir müssen behutsam mit uns selbst und miteinander sein und heftig, wenn wir Unterdrückung bekämpfen.
We need to be gentle with ourselves and each other and fierce as we fight oppression.

Samstag, 16. November 2013

Worauf richte ich mich aus? Wie richte ich mich auf?

Ausrichten und aufrichten sind räumliche Handlungen, egal ob ich sie körperlich oder metaphorisch begreife. Durch aufrichtende und ausrichtende Handlungen sorge ich für mich, indem ich mich selbst (kritisch) reflektiere und (bewusst) Orientierungspunkte in meinem Leben setze.
Ich bin noch am Lernen, diese Handlungen auch stärker an meinen Körper gebunden zu begreifen. Gewalt und Diskriminierung werden häufig an Körper geknüpft, über Körper ausgetragen, haben körperliche Auswirkungen. Wie sind aufrichtende und ausrichtende Handlungen durch diese körperlichen Erfahrungen geformt?


Worauf ich mich ausrichten kann, ist eng damit verbunden, in welchen Räumen ich mich aufhalte und durch welche Räume ich mich bewege und wie ich mich in diesen Räumen bewege. Meine Orientierungspunkte sind verknüpft mit dem, was mir vertraut ist oder welche Impulse ich wahrnehme und aufgreife.
Ich richte mich aus durch die Selbstverständnisse und Selbstverständlichkeiten, die ich mir setze. Was bedeutet es konkret, wenn ich beispielsweise Feminismus zu meinem Wegweiser mache? An welchen feministischen Zielen orientiere ich mich? Feministische Orientierungspunkte prägen meinen Alltag: sie beeinflussen, mit welchen Themen ich mich beschäftige und zu welchen Themen ich mich austausche, welche Texte ich lese, welche Veranstaltungen ich besuche und womit ich sonst noch so meine Zeit verbringe. Sie prägen, wo ich meine Bezüge setze und zu wem ich mich in Beziehung setze. Es ist eine Frage, wen ich als mein Gegenüber begreife, mit wem ich mich gegen wen oder was ins Verhältnis setze. Es ist auch eine Frage, wie ich mich auf mein Gegenüber ausrichte: Begreife ich mein Gegenüber als Expert_in, als zu Belehrende_n, als Gesprächspartner_in, als Bündnispartner_in? Und wenn ich mich auf andere ausrichte, sind diese dann auch auf mich ausgerichtet? Und mit welcher Perspektive? Wie kann ich mich so auf andere ausrichten, dass ich mich an ihren Ausrichtungen orientiere? Wenn ich mich beispielsweise als weiße Person (auch) auf Feminist_innen of Color und Schwarze Feminist_innen ausrichte, dann richte ich mich auf auf deren Themen aus: Was sind ihre Orientierungspunkte und (wie) kann ich mich dazu ins Verhältnis setzen? Wie erfahre und entscheide ich, welche Nähe/ Distanz angebracht ist?
Meine Orientierungspunkte geben mir ein Gefühl von Sicherheit. Es ist aber eine riskante Form von Sicherheit. Es wird schwierig, wenn meine Selbstverständlichkeiten sich verselbstständigen. Immer wieder hab ich gemerkt, dass meine Selbstverständnisse sich verschoben haben, nicht ohne dass es mit Verunsicherungen einhergegangen ist. Mittlerweile hab ich etwas besser verstanden, dass es wichtig ist, mich auch immer wieder umorientieren zu können. Und es ist wichtig, mir und anderen gegenüber meine Orientierungspunkte so klar wie möglich zu machen.
Momentan richte ich mich in und auf diskriminierungssensible Räume aus. Mein Bedürfnis ist auch mich in diesen Räumen einzurichten und in ihnen ein Zuhause zu finden. Aber ich hinterfrage dieses Bedürfnis danach, ob mein Einrichten auf Kosten anderer stattfindet. Wenn ich mich ausrichte, dann nehme ich andere wahr. Wenn ich mich einrichte, dann wird mein eigener Komfort zum Maßstab. Einrichten würde heißen, dass mein wichtigstes Ziel ist, mich wohlzufühlen; dass ich mich mit den Menschen und Dingen umgebe, die mir Zuspruch geben und es mir nicht unbequem machen. Ich denke mittlerweile, dass diskriminierungssensible Räume nur außerhalb meiner eigenen privilegierten Komfortzonen geschaffen werden können. Wie können wir uns so aufeinander ausrichten, dass Bewegungsräume geschaffen werden, die möglichst diskriminierungssensibel gestaltet sind?


Aufrichten hat für mich zwei Facetten: Intervention und Empowerment.
In dem Moment, wo ich gegen Gewalt und Diskriminierung interveniere, spüre ich ein innerliches Aufrichten. Ich bin angespannt in Situationen, in denen ich Gewalt und Diskriminierung wahrnehme. Wenn ich mich innerlich aufrichte, komme ich aus der Anspannung heraus in ein Handeln. Welche Interventionshandlungen ich wähle und ich wählen kann, hängt davon ab, welche Ressourcen ich zur Verfügung habe, wovon ich strukturell profitiere, welche Communities ich in meinem Rücken weiß_vermute und wie ich mich körperlich und sprachlich handelnd aufrichten kann. Aufrichten ist riskant. Meistens kann ich mir selbst das Risiko aussuchen, andere seltener. Wie stark bin ich direkt und indirekt mit dem konfrontiert, gegen das ich mich aufrichte? Welche Wahlmöglichkeiten habe ich (vermeintlich)? In meinem Leben habe ich schon unterschiedliche Formen von Sexismus erlebt – abhängig von meiner jeweiligen Genderperformance zu dieser Zeit; abhängig von dem, mit wem ich unterwegs bin; abhängig von den Kontexten, in denen ich mich gerade bewege. Meine Wahrnehmung von Sexismus hat sich erweitert, mein Wahrnehumgsradius dehnt sich auf andere Formen von Gewalt und Diskriminierung aus. Wie kann ich mich kollektiv aufrichten, ohne in Logiken des "Aufstands der Anständigen" zu verfallen? Welche Kollektive wähle ich für mein Aufrichten? Wie kann ich mich kollektiv mit anderen aufrichten, ohne mich für andere aufzurichten? An welchen Stellen ist es wichtig, mich gerade nicht aufzurichten? Wie kann ich eine aufgerichtete Kritikfläche bieten und Kritk an meinem Aufrichten wahrnehmen? Von wem will ich Kritik an meinem Aufrichten annehmen?

Mich aufzurichten bedeutet auch mich selbst zu stärken. Ich hab den Vorteil, dass ich auf den Schultern anderer Feminist_innen und ihrer Kämpfe stehen kann. Ich will mich aber nicht auf den Rücken anderer aufrichten, auch wenn ich mir das nicht immer bewusst aussuchen kann. Inwiefern richte auch ich mich auf den Kosten anderer auf? Wie kann ich ein solches Aufrichten vermeiden?

Samstag, 9. November 2013

Mich aufrichten, mich ausrichten

Ich richte mich auf, immer wieder, immer wieder aufs Neue. Mich aufzurichten bedeutet für mich, in mir Stabilität zu finden, in mir die Kraft zu suchen, um mich in meiner ganzen Dimension zu entfalten. Es bedeutet auch zu überlegen, wie viel Platz ich in welchen Räumen für mich und meine Themen einnehme.
Die Herausforderung ist aufgerichtet zu bleiben, nicht vor Scham- und Schuldgefühlen zu versinken oder zu verschwinden, wenn Kritik an mich herangetragen wird. Aufgerichtet zu bleiben, um eine Fläche zu bieten, an der die Kritik nicht abprallt, sondern möglichst viele Öffnungen zu schaffen, um Kritik aufzunehmen.
Immer wieder aufrichten, weil die Welt mich klein halten möchte. Immer wieder aufrichten aber auch, weil ich mich selbst nicht als Opfer denken will und ich nicht so tun muss, als würden mir nicht auch Räume geboten, wo ich mich auf Kosten anderer ausdehnen kann. Zu verweigern diesen Raum zu nehmen und trotzdem aufgerichtet zu bleiben.

Mich aufrichten und mich ausrichten.

Ich richte mich aus, immer wieder, immer wieder aufs Neue. Mich auszurichten bedeutet für mich, mich zu orientieren, meinem politischen Kompass zu folgen. Es bedeutet auch zu überlegen, auf wen ich mich ausrichten kann, weil sie sich in meiner Nähe befinden und welche Ausrichtungen ein Verlassen meiner Komfortzonen erfordern.
Die Herausforderung ist ausgerichtet zu bleiben, mir Fehler in der Navigation einzugestehen, zu überlegen, an welchen Zielen ich mich orientieren möchte, wie Machtverhältnisse und Privilegien versuchen, immer wieder wie ein störender Magnet Einfluss auf meinen Kompass zu nehmen.
Immer wieder ausrichten, weil ich nur gemeinsam mit anderen Richtungen einschlagen kann, die mir selbst oder uns allen vielleicht erst einmal unvertraut erscheinen. Immer wieder ausrichten, um uns gegenseitig zu bewegen und auszhandeln, was unsere Wegweiser sind. Verantwortungen für meine Richtungsentscheidungen und Richtungswechsel zu übernehmen und trotzdem ausgerichtet zu bleiben.


Ich danke einer Freundin, die mir davon erzählt hat, wie sie sich beim Tangotanzen aufrichtet und welche Bedeutung das für sie hat. Die Inspiration zu Ausrichten habe ich in Sara Ahmeds Buch "Queer Phenomenology" gefunden, wo sie viel über Orientierung schreibt.

Sonntag, 8. September 2013

Schonhaltung und Schonräume

Seit über einer Woche bin ich erkältet und ich stelle fest, wie schwer es mir fällt mich selbst zu schonen. Und nicht nur in konkreten Situationen wie Kranksein fällt mir eine Schonhaltung mir selbst gegenüber schwer, sondern auch im allgemeineren Umgang mit mir selbst.

Gestern hat eine Freundin mich gefragt, wie ich es finden würde, wenn ein_e Kolleg_in von mir tagelang mit Erkältung zur Arbeit käme. Sie hat angedeutet, dass ich wahrscheinlich denken würde, dass die Person gerade nicht so gut für sich sorgt. Für mich war diese Einladung zu einem Perspektivwechsel ein wichtiger Aha-Moment und ich konnte nicht anders als ihr zuzustimmen.

In mir gibt es eine deutliche Stimme, die ich "Toughen up" nennen würde. Die Stimme sagt mir, dass es mit etwas Zähnezusammenbeißen gehen wird. Meine Grenzen sind noch nicht wirklich erreicht, meine Ressourcen noch nicht wirklich aufgebraucht.

Ich merke, dass es bei einer Schonhaltung nicht wirklich um die Frage geht, ob eine Situation noch erträglich ist oder nicht. Bei einer Schonhaltung geht es darum, einen Puffer zwischen dem momentanen Befinden und den eigenen Grenzen einzufügen. Ich muss nicht immer austesten, wie viel noch geht, bevor ich an meine Grenzen stoße, ich kann es mir auch in etwas Entfernung bequem machen. Immer mit dem Wissen, dass ich mir diesen Puffer nicht in jeder Situation aussuchen kann. Es gibt auch Momente, da kann ich nicht selbst darüber entscheiden, ob ich mich schonen möchte oder nicht, weil eine Situation über mich hereinbricht, mit der ich einen Umgang finden muss. Umso wichtiger eigentlich, mir diese Schonmomente in Zeiten zu schaffen, in denen dies möglich ist.

Hier sind einige Fragen, die ich mir auch selbst stellen möchte, um mich einer Schonhaltung anzunähern:
  • Wo liegt die Grenze zwischen "Ich fühl mich wohl." und "Ich fühl mich okay."? Was sind erste Anzeichen, wenn ich von dem einen Zustand in den anderne wechsle?
  • In welchen Situationen und Kontexten könnte ich mir öfters eine Schonhaltung erlauben?
  • In welchen Situationen und Kontexten kann ich mir das nicht aussuchen? Und wie gehe ich damit um?
  • Was bedeutet es für mich konkret, mich zu schonen? Was sind meine Schonpraxen? (Meine ersten Ideen: etwas später kommen, etwas langsamer machen, Auszeiten nehmen, Sachen zurückweisen, die mir nicht gut tun, ...)
Mich zu schonen ist auch viel an bestimmte Räume und Kontexte geknüpft. Ich merke, dass ich Schonräume brauche, in denen ich mich wohler fühlen kann, mich etwas entspannter bewegen kann und nicht immer alles erklären muss. Ich schreib hier bewusst Schonräume und nicht geschützte Räume oder safe spaces, weil ich nicht mehr wirklich an Räume glaube, in denen sich alle (für die, dieser Raum jeweils gedacht ist) sicher fühlen können. Mein Anspruch hat sich deswegen verschoben und ich frage mich, wie Räume gestaltet sein müssen, damit sich dort Menschen schonen können, sich wohler fühlen, auch wenn sie sich vielleicht nicht sicher fühlen können. Damit ist immer auch die Frage verknüpft, wer sich in welchen Räumen wohl fühlt und wer sich dort schonen kann. Viel zu häufig wird leider damit argumentiert, dass sich jetzt irgendwer in einer privilegierten Position nicht mehr wohlfühlt, wenn bestimmte Diskriminierungen und Gewaltformen thematisiert werden.

In Andrea Smiths Text "The Problem with 'Privilege'" zitiert sie Ruth Wilson Gilmore, die sagt
safe space is not an escape from the real, but a place to practice the real we want to bring into being
(ein sicherer Raum bietet keine Zuflucht vor der Wirklichkeit, er ist ein Ort, an dem wir die Wirklichkeit üben können, die wir ins Leben rufen möchten)
Andrea Smith schreibt darüber, dass wir erstmal von keiner Verbundenheit miteinander ausgehen können, nur weil wir gesellschaftlich ähnlich positioniert sind oder uns ähnliche Identitäten zugeschrieben werden. Statt davon auszugehen, dass ihn geschützten Räumen keine Diskriminierung oder Gewalt stattfinden kann, plädiert sie dafür, sich mit der eigenen Kompliz_innenschaft mit Machtverhältnissen auseinanderzusetzen und nach kollektiven Strategien zur politischen Veränderung zu suchen.

  • Wie merkst du, dass es Zeit ist, dich zu schonen?
  • Was tust du, um dich zu schonen?
  • In welche Räume begibst du dich, um dich zu schonen? Welche Räume meidest du?
  • Was zeichnet deine Schonräume aus? Was bräuchtest du von diesen Räumen, um dich noch besser schonen zu können?
  • Gibt es in deinen Schonräumen Menschen, die nicht geschont werden? Ist dies eine bewusste Entscheidung (z.B. kein Schonen von Typen in feministischen Räumen) oder werden hier Machtverhältnisse oder Dominanzstrukturen re_produziert?

Dienstag, 3. September 2013

Neue Mitmach-Reihe "Unverhoffte Momente"

Es hat mir sehr viel Freude bereitet, eure Lieblingsauszeiten zu sammeln und hier auf dem Blog zu veröffentlichen (hier, hier, hier, hier und hier). Ich mag das Gefühl, darüber mehr im Austausch zu stehen und von euren Selbstfürsorgeideen lernen zu können.
Deswegen möchte ich gerne einen neuen Aufruf starten und euch bitten, mir eure "unverhofften Momente" zu schicken.

Immer, wenn ich sehr im Stress bin und mich gerade nicht so gut um mich selbst kümmern kann, merke ich, dass Selbstfürsorge nicht immer etwas ist, was ich planen kann. Manchmal sind es eher die kleinen unverhofften Momente, die mich wieder aus nem Loch herausziehen:
... wenn ich über rassistische Kackscheiße ein Statement schreibe und mal wieder an der Welt verzweifle, und dann das Statement von wem anders aufgegriffen und weiter diskutiert wird
... wenn eine andere Person merkt, dass ich erschöpft bin und mich fragt, ob ich gemeinsam Pause machen möchte
... wenn plötzlich ein Kind am Nebentisch im Restaurant coole gesellschaftskritische Sachen sagt

Unverhoffte Momente können Momente des Empowerments sein. Sie können dir zeigen, dass du nicht alleine bist - mit deinen Gedanken, Interventionen oder Haltungen. Sie können die kleinen Wendungen in Situationen sein, die das Ganze dann doch noch erträglich machen.

Ich fände es sehr toll, von euren unverhofften Momenten zu hören und was sie bewirkt haben.
Schreibt nen Kommentar oder schickt mir euren Text per Mail.

Dienstag, 20. August 2013

Wertschätzung geben

Es gibt eine Redewendung, die heißt: Hast du nichts Gutes zu sagen, dann sag lieber gar nichts.
Ich bin wohl eher mit der umgekehrten Redewendung groß geworden: Sag nichts, wenn du nichts Schlechtes zu sagen hast. Und es gab verschiedene Varianten, etwas Schlechts zu sagen: mein Gegenüber (auf nicht sehr freundliche Art) kritisieren, sich über Dritte aufregen, sich selbst schlecht machen, jammern, die Welt und das Leben an sich furchtbar finden, ...

Ich bin immer noch voller Bewunderung, wenn ich Menschen treffe, die scheinbar ohne Limit ihre Wertschätzung und Anerkennung aussprechen. In vielen Situationen bin ich gleichzeitig irritiert und manchmal auch unangenehm berührt davon.
Mir selbst fällt es häufig schwer, meine Wertschätzung für andere auszudrücken. Irgendwie denke ich, dass ich mich dadurch verletzlich machen würde. Vielleicht liegt es daran, dass Wertschätzung ja auch eine Form ist, Zuneigung mitzuteilen und ich dann Angst habe, dass diese Zuneigung zurückgewiesen werden könnte. Ich spüre meine Vorsicht, mit offenem Herzen in Kontakte zu gehen.

Umgekehrt fällt es mir auch schwer, Wertschätzung anzunehmen. Manchmal habe ich regelrecht den Eindruck, dass sich meine Wahrnehmungsfähigkeit ausschaltet, sobald eine Person damit beginnt, ihre Wertschätzung auszudrücken. Irgendwie kann ich dann nicht richtig aufnehmen, was die andere Person gerade kommuniziert hat. Und selbst wenn ich es irgendwie aufnehme, dann denke ich häufig, dass ein Danke nicht ausreicht. Ich hab das Gefühl, die Wertschätzung zurückgeben zu müssen, indem ich die Wertschätzung wertschätze. Wie oft hatte ich schon das Bedürfnis, ein Like auf Facebook liken zu können.

In der letzten Zeit ist mir etwas Interessantes aufgefallen: Je mehr ich Wertschätzung gebe (auch wenn es mich anfangs vielleicht Überwindung kostet), desto mehr nehme ich Dinge wahr, die ich wertschätzen möchte. Ich hab das Gefühl, dass Wertschätzung - wie so viele Sachen - eine Frage der Übung ist. Mit welchen Worten möchte ich Wertschätzung aussprechen? Welche Worte fühlen sich für mich gut an, welche zu pathetisch und welche zu banal? In welchen Situationen und über welche Kommunikationswege teile ich gerne Wertschätzung mit? Welche Gefühle und Formen der Zuneigung empfinde ich in dem Moment für die andere Person? Und möchte ich diese mitteilen?
Je mehr ich mich in Wertschätzen übe, desto mehr kann ich in mir eine Fülle an Wertschätzung und Zuneigung finden, die ich zum Ausdruck bringen möchte. Je mehr ich sie ausdrücke, desto mehr verliere ich meine Scheu und meine Angst, dass irgendwas Schlimmes passieren könnte.
Ich wehre mich gegen den Glaubenssatz, den ich jahrzehntelang verinnerlicht habe. Und es fühlt sich gut an.

Lange habe ich Wertschätzung mit Lob verwechselt. In der Schule bin ich viel für meine Leistungen gelobt worden und ich dachte, dass das Wertschätzung wäre. Immer noch kann ich mir häufig nur dann selbst Anerkennung geben, wenn ich etwas geleistet habe. Damit knüpfe ich Wertschätzung daran, was ich mache. Bei anderen fällt mir auf, dass ich Wertschätzung dafür ausspreche, wie sie (in der Welt) sind. Ich nehme an anderen stärker ihre Kämpfe wahr und ich bewundere ihr Durchhalten, Weitermachen, ihren Mut und die kleinen Veränderungen. Dafür möchte ich meine Bewunderung und meine Wertschätzung stärker zum Ausdruck bringen. Ich möchte andere in dem, wie sie sich durch die Welt bewegen, an_erkennen.

Irgendwie möchte ich mit diesem Text ein Plädoyer für mehr Mut zu mehr Wertschätzung aussprechen. Wertschätzung ist für mich auch eine Form des kollektiven Empowerments - eine gegenseitige Ermutigung, sich zu zeigen und sich in der Welt zu bewegen. Eine Form des Protests gegen all die Auswirkungen von Machtverhältnissen, gegen die es manchmal schwer sein kann Selbstvertrauen und Selbstliebe aufrecht zu erhalten.

Wem möchtest du deine Wertschätzung mitteilen?
Wofür möchtest du dir selbst Wertschätzung geben?
Wie sollte dir Wertschätzung gegeben werden, damit du sie leicht(er) annehmen kannst?
Was hält dich davon ab, Wertschätzung mitzuteilen?
Was hält dich davon ab, Wertschätzung anzunehmen?
Was ist dir an Wertschätzung wichtig und könnte dir dabei helfen, es mehr zu tun?

Freitag, 2. August 2013

Gleichzeitigkeiten leben

Ich will mich der Herausforderung stellen, Gefühle in ihren Komplexitäten, Widersprüchlichkeiten und Verquickungen zuzulassen.
Wenn ich erlebe, wie unterschiedliche Emotionen gleichzeitig präsent sind, finde ich es häufig schwierig, nicht ein Gefühl mich komplett ausfüllen zu lassen; nicht ein Gefühl auf alle erlebten Situationen zu übertragen. Ich merke, wie schlechte Gefühle schnell mehr Dominanz in mir gewinnen. Ich verweigere mir manchmal, mich in manchen Momenten gut zu fühlen, wenn ich auch noch Sorgen, Krisen oder Zweifel in mir trage. Doch ich lerne auch, dass ich mich trotz allem gut fühlen darf. Ich lerne, mir auch die Erlaubnis zu geben, Gefühle in ihren Gleichzeitigkeiten zu leben.

In den letzten Wochen haben mich verschiedenste Gefühle ausgefüllt:
mir Sorgen machen um Menschen in emotionalen_körperlichen Krisen
Zuversicht leben
Konflikte wahrnehmen, erleben und durchleben
Freude mit_teilen
Zweifel aussprechen und anhören
Ängste und Unsicherheiten in die Zeiten und Orte einsortieren, wo sie hingehören
Sehnsüchte spüren
Verbundenheiten und Verbindungen ausdrücken

Die Gleichzeitigkeiten von Gefühlen zu leben bedeutet für mich auch, ein Stück weit die Kontrolle über meine Emotionen aufzugeben - die Kontrolle darüber, welche Gefühle ich in mir groß werden lasse. Schlechte Gefühle sind mir vertraut. Ich hab mich in ihnen eingerichtet. Sie sind das, was mir bekannt ist und wofür ich meine Bewältigungsstrategien gefunden habe. Ihnen gebe ich deshalb Vorrang, manchmal nehmen sie sich aber auch einfach den Platz. Dann ist das auch okay, weil ich weiß, dass ich wohlwollend mit mir selbst umgehen muss, wenn mich Traurigkeit oder Verzweiflung überwältigt. Ich weiß, dass sich Krisen und Konflikte ihre Räume schaffen und dass es mich meist mehr Kraft kostet, wenn ich sie nicht annehme und (dadurch meist auch als irgendwie bewältigbar) erlebe. Mir macht es aber auch Angst, meine Schutzmechanismen aufzugeben, meine Wände runterzufahren, um präsenter zu sein für die Bandbreite meiner Gefühle. Es braucht ein Zulassen, ein Einlassen. Nicht immer gelingt mir das. An welchen Orten und mit welchen Menschen fühl ich mich sicher genug für dieses Zulassen und Einlassen?

Kontrolle und Entscheidungsfähigkeiten waren lange Zeit zwei Dinge, die für mich eng miteinander verknüpft erschienen. Ich dachte, wenn ich mich nicht stark kontrolliere, dann kann ich auch nicht entscheiden. Mit Gefühlen erlebe ich aber, dass, auch wenn ich Gefühle zulasse, ohne sie gleich zu kontrollieren, ich mich trotzdem manchmal entscheiden kann, worauf ich meinen Fokus lenke. Suche ich bewusst nach den noch so kleinen Glücksmomenten in meinem Tag? Freue ich mich über die Dinge, die mir Freude bereiten? Für mich sind das zum Beispiel Eichhörnchen im Park, blauer Himmel, ein Lächeln auf der Straße, meine Herzensmenschen. Manchmal helfen mir diese kleinen Momente, mich wieder ein bisschen für die Komplexitäten von Gefühls- und Erlebenswelten zu öffnen. Manchmal ist das Einzige, was ich tun kann, es irgendwie zu registrieren, auch wenn es in dem Moment nicht emotional zu mir durchdringt. Ich versuche, diese Momente dann irgendwo in mir abzuspeichern, um sie wieder herauszuholen, wenn meine Rüstung wieder ein bisschen löchriger geworden ist.

Und dann gibt es aber auch die Momente, in denen mich Lebensfreude komplett ausfüllt. Nicht immer ist es mir leicht gefallen, diese zuzulassen. Ich konnte sie mir nicht erlauben, weil ich wusste, dass Krisen (meine und die anderer) um die Ecke auf mich warten. Mittlerweile sind diese Lebensfreude-Momente für mich zu einem wichtigen Trotzdem geworden. Eben weil die Krisen (gleichzeitig) da sind, will ich mich meiner Lebensfreude komplett hingeben, wenn sie da ist. Ich will in diesen Momenten durch die Straßen schweben können, ohne mich dafür rechtfertigen zu müssen. Und wenn ich andere in ihrer Lebensfreude erlebe, versuche ich, die Gleichzeitigkeiten und das Trotzdem dieser Momente wahrzunehmen - und mich nach Möglichkeit gleichzeitig und trotzdem mitzufreuen.

Wie erlebst du Gleichzeitigkeiten und Ungleichzeitigkeiten, Vereinbarkeiten und Unvereinbarkeiten von Gefühlen?
Was machst du mit diesen?
An welchen Orten und mit welchen Menschen fühlst du dich sicher und wohl, um Gleichzeitigkeiten von Gefühlen zulassen zu können?
Welche Gefühle sind (meistens) dominant?

Sonntag, 14. Juli 2013

Gleichgewicht finden

In den letzten Wochen war ich irgendwie öfters mit nervigen Situationen und anstrengenden Fragen konfrontiert. Die letzten Wochen haben Kraft gekostet. Für mich bedeutet ein fürsorglicher Umgang mit mir selbst zu entscheiden, in welcher Situation ich diese Kraft aufbringe und in welcher auch nicht. Noch wichtiger als die Entscheidungsfähigkeit selbst (die ja auch leider nicht immer gegeben ist, sonst würde ich ja auch nicht schreiben, dass ich mich konfrontiert fühle), ist die Frage, wie ich mich in welcher Situation jeweils entscheide.

Im Groben kann ich zwei Tendenzen ausmachen, die sich vermutlich auf einem Kontinuum befinden und in verschiedenen Schattierungen zu Tage treten: Selbstschutz, der meist in Ignorieren oder Eskalieren besteht, und Verantwortung übernehmen, wo ich versuche zu erklären und Kritik zu vermitteln. Für welche Variante oder Nuancen der jeweiligen Variante ich mich entscheide, hat viel damit zu tun, wie ich in der jeweiligen Situation positioniert bin.

Situation Nummer eins: In einem Gespräch kommt das Thema Coming-Out und die Situation von Lesben auf. Ich hab mir das Thema nicht ausgesucht. Irgendwann fällt der Satz: "Ich finde es so schlimm, dass Menschen dafür diskriminiert werden, wen sie lieben." Ich verstumme, mir fehlen die Worte. Ich kann das vermeintliche Einfühlen in meine Lebensrealität nicht aushalten. Ich fühl mich zu einer Lektion in eigener Toleranz und politischer Bewusstwerdung stilisiert. Ich komme erneut nicht wirklich vor oder nur als vermeintliche Hülle meiner selbst. In der Situation habe ich mich entschieden, nichts zu sagen. Ich wollte weder mich kritisch dazu äußern noch auf die gewonnene Einsicht eingehen. Aus Selbstschutz habe ich mich für Ignorieren entschieden. In ähnlichen Situationen hab ich mich auch schon für Wut entschieden und der Summe meiner Erfahrungen Raum gegeben. Wenn ich die Zielscheibe der gesammelten Erkenntnis werde, ist es nur fair, wenn dich meine gesammelte Erfahrung mit deinen Erkenntnissen trifft. Es gäbe noch die Möglichkeit mich zu dem Gespräch zu äußern. Doch bei der Entscheidung, ob ich das tun möchte, werde ich auf meine Kräfte achten. Und das finde ich gut so.

Situation Nummer zwei: In einem Gespräch wird die Frage gestellt, wie sich bislang weiß dominierte Räume für People of Color und Schwarze öffnen können. Es werden Ideen in den Raum geworfen, die ich bevormundend bis ausgrenzend finde. Die konkreten Aussagen sind hier egal und auch zum Teil beliebig austauschbar. Auch hier habe ich mir das Thema in der Situation nicht ausgesucht. Doch in dieser Situation fällt meine Entscheidung anders aus. Als weiße Person finde ich es wichtig, auf von mir wahrgenommene problematische Setzungen zu verweisen und meine Erfahrungen an antirassistischer Zusammenarbeit weiterzugeben. Auch diese Gespräche kosten Kraft, weil sie viel Selbstreflektion erfordern, und kritische Solidarität manchmal ein schwer bewohnbarer Ort ist. Die Frage nach meinen Kräften ist bei der Entscheidung für den Austausch nachrangig. Und das finde ich gut so.

Vielleicht bedeutet das, mich öfters gegen eine Gesprächsbereitschaft über meine Diskriminierungen zu entscheiden, um häufiger eine_ Verbündete_ sein zu können. Ein Haushalten meiner Kräfte, das selbstverständlicher meine Selbstverständlichkeiten in Frage stellt und keine Anerkennung für mein Anerkennen von Diskriminierungen will.

Was kostet dich Kraft?
Wie teilst du deine Kräfte ein? Wie entscheidest du, wo du deine Energien reingibst?
Wo tankst du Energie? Auf wessen Kosten?
Wie gibst du anderen Kraft? Wem und wem nicht?

Sonntag, 23. Juni 2013

Warum tue ich das, was ich tue? - Feministische Motivationen

An meiner Wand hängt eine Mindmap, in der ich über meine Antigewaltarbeit kritisch reflektiere. Sie ist entstanden, als ich mich im Rahmen meiner Ausbildung zur systemischen Beraterin damit beschäftigt habe, welche Glaubenssätze mir (von Seiten meiner Herkunftsfamilie) mitgegeben wurden.
In dieser Mindmap findet sich als eine von vielen Spuren die Frage: Welche Rolle spielen Schuldgefühle und schlechtes Gewissen in meinem Aktivismus?
Hat mich ein Unrechtsempfinden zu meinem feministischen Handeln gebracht und hält mich ein schlechtes Gewissen, niemals genug machen zu können, dabei? Inwiefern fühle ich mich verpflichtet? Und wem oder was gegenüber eigentlich?
Diese Schuldgefühle spannen sich in zwei Richtungen auf: Leidensdruck und Verantwortung.
Leidensdruck ist für mich eine Haltung, mit der ich mich manchmal konfrontiert fühle. Als Feministin und Betroffene von Sexismus (neben anderen Machtverhältnissen) muss es mir schlecht gehen - und lange Zeit tat es das einfach, ohne dass ich da irgendwelche Mitsprachemöglichkeiten gefunden hätte. Kann ich überhaupt eine echte Feministin sein, wenn ich nicht permanent an dieser Gesellschaft leide? (Mir geht es hier nicht darum, irgendwen zu kritisieren, der es mit gesellschafltichen Verhältnissen schlecht geht oder an diesen verzweifelt - http://virtualretreatcenter.blogspot.de/2013/05/everybody-hurts-sometimes-umgang-mit.html) Lange Zeit hatte ich ein schlechtes Gewissen, wenn es mir gut ging, was ich damit kompensiert habe, mich noch mehr um andere zu kümmern. Heute bestehe ich mehr auf dem "trotz": trotz aller sexistischen und anderen diskriminierenden Kackscheiße kann und darf ich meine glücklichen Momente haben.
Verantwortung ist für mich ein wichtiger Perspektivwechsel in Bezug auf Schuldgefühle, wenn es um mein solidarisches Handeln aus meinen privilegierten Positionen heraus geht. Mir und anderen bringt es nichts, wenn ich mich beispielsweise wegen rassistischen Zuständen und Verhaltensweisen schuldig fühle. Und es bringt auch nichts, wenn ich in meinem schlechten Gewissen über Ungelerntem und Unreflektiertem verharre. Stattdessen will ich mich immer wieder neu fragen: Wie kann ich Verantwortung für mein eigenes Handeln und diskriminierende Verhältnisse übernehmen? Für mich gehört dazu auch, darüber nachzudenken, wie ich anderen in meinen feministischen Communities ermöglichen kann, für sich selbst zu sorgen und wie ich Räume schaffen kann, in denen sich auch Mehrfachzugehörige geschützt(er) und wohl(er) fühlen können.

Ich merke, dass es für mich wichtig ist, mich mit meinen feministischen Motivationen auseinanderzusetzen, weil sich darin auch viele eigene Glaubenssätze verbergen. Viele dieser Glaubenssätze entsprechen dabei nicht unbedingt meinen feministischen Idealen, sondern sind Teil einer kapitalistischen Selbstdisziplinierungslogik, die Selbstfürsorge und einen wohlwollenden Umgang mit mir selbst häufig verhindert. Zu diesen Glaubenssätzen gehören: "Du bist nur etwas wert, wenn du etwas leistest.", "Du darfst dich erst ausruhen, wenn du dein Ziel erreicht hast." Diese Glaubenssätze führen häufig auch dazu, dass ich anderen Feminist_innen mit Härte begegne. Manchmal merke ich, wie ich von anderen erwarte, dass sie mehr tun, damit ich weniger tun kann - weil ich meinen allgemeinen Maßstab, was passieren muss, nicht runterschrauben kann. Zur Zeit übe ich mich darin, unterschiedliche Zugänge, Bedürfnisse und Limits stärker wahrzunehmen und anzuerkennen. Dabei ist es mir wichtig, dass es viele unterschiedliche Gründe für ein vermeintliches "Weniger" geben kann und dass ich nicht erst bei einem Verweis auf Erschöpfung, Grenzen oder das B-Wort (Burnout) von meinen Erwartungen an andere abrücke. In dem Bereich hab ich noch viel zu lernen, was aber hoffentlich auch zu mehr Nachgiebigkeit mit mir selbst führt.

In der Mindmap findet sich als alternative Spur auch die Frage: Wie kann ich die Sonnenseiten des Lebens spüren und Freude in meinem Aktivismus erfahren?
Ich hab die Vorstellung, dass Freude kein Ziel von feministischem Aktivismus sein kann und trotzdem ist es für mich ein wichtiger Bestandteil meiner feministischen Lebensweisen. Nähe und Intensität spüren und das Erleben gegenseitiger Solidarität, auch wenn diese Erfahrungen immer wieder mit Widersprüchen, Scheitern und Ambivalenzen angefüllt sind, gehören für mich zu meinem feministischen Alltag und lassen mich auch nach schweren Phasen und (Selbst-) Zweifeln immer wieder weiter machen. Manchmal wünsche ich mir, dass mein feministisches Handeln stärker von Hoffnung und Zuversicht geprägt ist. Und dann frage ich mich, inwiefern mir meine Privilegien erlauben, zuversichtlich und hoffnungsvoll sein zu wollen bzw. punktuell sein zu können.

Was motiviert dich zu deinem feministischen Handeln?
Wie bewegst du dich zwischen schlechtem Gewissen und Schuldgefühlen?
Was macht dir Druck?
Welche anderen Motivationsspuren finden sich in deinem feministischen Leben?

Dienstag, 4. Juni 2013

Weiter als die Wut

Manchmal nehme ich gerne alte feministische Texte zur Hand, um nachzulesen, was früher schon zu bestimmten Themen diskutiert wurde. Ich will über feministische Wut schreiben und mir fällt "Weiter als die Wut" (1983) von Anja Meulenbelt ein. Ihr Vorwort beginnt mit dem Satz:
Jahrelang bin ich böse gewesen.
Und weiter:
Und danach? Gibt es eine Phase nach den Jahren der Wut? Ist das Feuer ausgebrannt, wenn du dich nicht mehr täglich aufregst, hast du dann deine Radikalität verloren? (...)
Wenn Aggression dasselbe bedeutet wie Streitbarkeit, dann bin ich weniger militant als früher. Wenn Streitbarkeit bedeutet, sich effektiver, zäher, beständiger und differenzierter daran zu machen, jede Form von Unterdrückung abzuschaffen, dann bin ich streitbarer als jemals zuvor. Was mich betrifft, gibt es eine dritte Phase nach dem Opferdasein und nach der ersten Wut. Eine Phase, in der Wut sich in Kreativität und Beständigkeit verwandelt hat und die als eine Weiterentwicklung zu betrachten ist. Einige betrachten das als Rückfall. Für andere, die an dem Prozess teilnehmen, ist es ein Schritt nach vorn. (S. 5-6)
Auch wenn ich Meulenbelts Entwicklungsnarrativ nicht unbedingt folgen möchte, so finde ich doch ihre Frage wichtig, was neben der Wut und dem Aufregen noch Platz haben darf. Für mich ist Wut wichtig: Es ist wichtig, mir Wut zu erlauben, Wut fühlen zu lernen und sie ist immer wieder ein wichtiger Motor für mein feministisches Handeln. Gleichzeitig ist Wut immer auch ein bezogenes Gefühl: Ich stecke meine emotionale Energie in das, worauf ich wütend bin. Wut hält mich davon ab, mir ganz andere Wege und Richtungen zu imaginieren. Wut nimmt Zeit weg für Wertschätzung und Anteilnahme gegenüber meinen feministischen Freund_innen.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass feministische Gemeinsamkeiten darüber geschaffen werden, sich über die gleichen Dinge aufzuregen. Und wer sich nicht über die gleichen Dinge aufregt, gehört irgendwie nicht dazu. Aufregen und Wut schaffen also auch Verbindung. Auf was basiert diese Verbindung? Wenn wir immer wieder mit unserer Wut auf gewaltvolle und diskriminierende Situationen und Zustände reagieren, wann bleibt dann die Zeit, um uns über unsere Utopien und Visionen auszutauschen?

Welche Auswirkungen haben Wut, Aufregen und Jammern auf dich und deine feministischen Communities?

Hier sind einige Fragen, anhand derer du den nächsten Moment der Wut beobachten kannst:
In welchen Momenten stärkt Wut deine Handlungsfähigkeit und in welchen Momenten verringert Wut deine Handlungsfähgikeit?
Ermöglicht dir Wut Verantwortung für das eigene Verhalten und deinen eigenen Handlungsspielraum in bezug auf die besprochenen Themen zu übernehmen?
Bewirken Aufregen und Jammern, dass es dir anfangs besser geht, aber dass langfristig ein bitterer Nachgeschmack bleibt?
Dreht ihr euch beim Aufregen im Kreis und landet immer wieder bei den gleichen Punkten?
Liegt der Fokus auf dem, was alles scheiße läuft, statt auf dem, was gerade gut ist?
Fühlen sich diejenigen durch Wut unterstützt, die möglicherweise als Betroffene von einer konkreten Situation erzählt haben?
Für wen ist Wut möglicherweise auch ein belastendes Gefühl, weil sie häufig mit Wut konfrontiert sind/ waren? Wie kann auf deren Grenzen geachtet werden?

Freitag, 31. Mai 2013

Unterstützung geben oder sich verantwortlich fühlen?

Als Antigewalt-Aktivist_in ist die Unterstützung anderer essentieller Bestandteil meines politischen_persönlichen Alltags. Unterstützung geben und Unterstützung erfahren gehören zu meiner feministischen Praxis und ein Erlebbar-Machen von Solidarität.

In der Unterstützung anderer halte ich Selbstfürsorge für zentral. Es ist dabei wichtig, auf die eigenen Grenzen zu achten und für Ausgleich zu sorgen. Wenn ich andere unterstütze, kann es passieren, dass ich mit eigenen (Gewalt-) Erfahrungen in Kontakt komme. In welchem Verhältnis befinden sich die Unterstützung anderer und meine eigenen (Gewalt-) Erfahrungen? Welchen Einfluss haben meine eigenen Erfahrungen auf die Unterstützung? Wie sehr belasten oder beschäftigen mich meine eigenen Erfahrungen? Hab ich eigene Räume, um diese zu verarbeiten und gut für mich zu sorgen?

In der Broschüre "Unterstützung geben" von LesMigraS/ Lesbenberatung Berlin gibt es viele Hinweise zu der Unterstützung anderer und aktivistischer Selbstfürsorge (auch in Print bei der Lesbenberatung erhältlich). Dort steht zu dem Thema:
Es kann auch sein, dass eigene Erfahrungen von Gewalt und Diskriminierung bei Ihnen hoch kommen. Wenn Sie merken, dass Sie die Gewalt- oder Diskriminierungserfahrung einer Ihnen nahe stehenden Person zu sehr belastet, weil es Sie an eigene Erfahrungen erinnert, ist es wichtig, dass Sie diese Belastung ernst nehmen. Es besteht jederzeit auch für Sie die Möglichkeit sich Unterstützung zu holen, auch wenn die Situation, in der Sie Gewalt oder Diskriminierung erfahren haben, schon lange zurückliegt oder schon lange anhält, ohne dass Sie jemals wem davon erzählt haben. Gewalt und Diskriminierung kann lang anhaltende Effekte auf Sie haben, die auch Jahre später noch Auswirkungen zeigen. Nehmen Sie sich selbst Zeit und Raum für Ihre Erfahrungen. Überlegen Sie gut, ob Sie sich gerade in der Lage fühlen, eine andere Person zu unterstützen, während Sie selbst etwas aufarbeiten. Achten Sie darauf, dass Sie Ihre eigenen Erfahrungen und die einer anderen Person nicht gleich setzen. Manchmal erscheint es leichter, eine andere Person zu unterstützen als selbst nach Unterstützung zu fragen. Auch Ihre Erfahrungen und Erlebnisse brauchen Zuwendung, Unterstützung und Verarbeitung. Es ist wichtig, dass Sie mit der von Ihnen erlebten Gewalt oder Diskriminierung umgehen, damit sie Sie und Ihre Verhältnisse zu anderen Menschen nicht langfristig belastet. Die Person, die gerade Unterstützung von Ihnen braucht, ist nicht die richtige Ansprechperson, um mit eigenen Gewalt-/ Diskriminierungserfahrungen umzugehen. Suchen Sie sich deswegen Personen, die nicht in die Unterstützung eingebunden sind. Das können Freund_innen sein, aber auch Beratungsstellen oder Therapeut_innen. Bleiben Sie nicht mit Ihren Erinnerungen allein! (S. 50-51)
Doch wie merke ich, ob ich in meiner Unterstützung anderer gut für mich sorge? Und wann identifiziere ich mich zu sehr mit den Erfahrungen anderer?
Für mich ist dabei folgende Frage hilfreich: Fühl ich mich für die andere Person verantwortlich? Unterstützung ist für mich dadurch gekennzeichnet, dass ich für die andere Person da und ansprechbar bin, aber die Verantwortung für den eigenen Umgang mit dem Erlebten bei der anderen Person lasse. Ich fühle mich für die andere Person verantwortlich, wenn ich merke, dass ich davon abhängig bin, dass es der anderen Person besser geht, dass ich an kaum etwas Anderes denken kann. Meistens ist das ein Zeichen dafür, dass es dabei auch um eigene Erfahrungen oder Umgangstrategien (mit Gewalt) geht, dass ich ein eigenes Ziel mit der Unterstützung der anderen Person verfolge. Möglicherweise gebe ich die Unterstützung und den Rat, die ich selbst gerne erhalten würde/ hätte. Oder es ist ein Zeichen für meine genderspezifische Sozialisation und die internalisierte Norm, dass es mir nur dann gut gehen darf, wenn ich dafür sorge, dass es anderen gut geht und meine emotionale Energie in erster Linie in andere Menschen stecke.

In welcher Form gibst du anderen Unterstützung?
Worum geht es dabei für dich? Welche eigenen Ziele verfolgst du vielleicht damit?
Wie kannst du gut für dich sorgen? Mit wem und wo kannst du eigene Themen gut verarbeiten?

Montag, 20. Mai 2013

Everybody hurts sometimes - Umgang mit Verletzlichkeiten

Wie gehst du mit deinen Verletzlichkeiten um?

Als Feminist_in aktiv zu sein bedeutet häufig auch mit persönlichen Themen in der Öffentlichkeit zu sein. Und auch wenn es von feministischer Seite dafür viel Solidarität gibt, wird es nicht immer von allen wohlwollend aufgenommen. Diskriminiert zu werden oder Gewalt zu erfahren, während ich Diskriminierung und Gewalt thematisiere, finde ich immer besonders hart.

Kann ich in einem Blog überhaupt öffentlich über (den Umgang mit) Verletzlichkeiten schreiben? Oder ist das ein Thema, das eher an unsere Küchentische, auf unsere Sofas und insgesamt in vertrautere Räume gehört?

Was ist der Unterschied zwischen Selbstfürsorge und Selbstschutz?
Wie lässt sich eine Balance finden zwischen der Tendenz, sich als starke_r Kämpfer_in darzustellen, und dem Bedürfnis, sich auf eigene Betroffenheiten zu fokussieren?

Als ich noch klein war, bin ich immer weggerannt und hab mich versteckt, wenn ich mich verletzt hatte. Ich wollte nicht, dass mich irgendwer weinen sieht und konnte niemanden daran teilhaben lassen, dass mir etwas zugestoßen war. Erst wenn ich mich wieder gefangen hatte, bin ich aus meinem Versteck hervorgekrochen. Diese Tendenz hab ich auch heute noch, auch wenn es jetzt seltener um körperliche Auas geht.

In welchen Räumen kannst du deine Verletzungen zeigen?
Welchen Umgang wünschst du dir mit deinen Verletzlichkeiten?

Ich finde es sehr mutig, offen mit den eigenen Themen umzugehen, sich selbst auch in einer eigenen Hilflosigkeit zu zeigen. Ich finde es wichtig, dafür Anerkennung und Wertschätzung auszusprechen.
Und ich denke, dass wir Umgangsstrategien benötigen, um uns gegenseitig zu unterstützen, wenn das Sichtbarmachen unserer Verletzlichkeiten zu Verletzungen führt.

Manchmal gibt es nur Platz für Verzweiflung und Traurigkeit. Ich finde es wichtig, auch diese miteinander zu teilen. Am besten auf eine Weise, die uns nicht gegenseitig runterzieht.

Heute teile ich also eines meiner Ausheul-Videos mit euch (versucht einfach den ganzen Casting-Show-Rahmen zu ignorieren):


Samstag, 18. Mai 2013

Busy Bees - oder: Der Stress steht dir gut.

Eine Aufzählung von Projekten und Baustellen - darum drehen sich häufig die ersten Unterhaltungen mit anderen Feminist_innen oder auch die Updates mit Menschen, die ich länger nicht gesehen habe. Eine bittersüße Vorstellungsrunde.

Ich genieße es, mich mit anderen Feminist_innen über Projekte auszutauschen. Bezugnahmen aufeinander finde ich total wichtig und ich möchte die konstruktive Kritik, die ich von anderen Feminist_innen erhalte, auf keinen Fall missen. Ich fühl mich als Teil des feministischen Beats in der Stadt oder auch überregional, wenn ich höre, was andere gerade so machen und welche Projekte so am Laufen sind. Ich erzähle gerne von meinen eigenen Plänen - nicht zuletzt auch, weil ich an den Plänen eher dran bleibe, wenn ich weiß, dass andere auch davon wissen.

Doch gleichzeitig besteht immer auch die Gefahr, dass ich mich ausschließlich über meine Projekte definiere. Und beim Schreiben spüre ich schon meine Ambivalenz: Meine Projekte sind mir aber wichtig und ich will mich nicht dafür verteidigen müssen, dass sie mir wichtig sind - widerspricht laut eine Stimme in mir. Stimmt ja auch, aber nur auch eben.
Häufig kann ich nicht klar zwischen Busy-sein und Erschöpft-sein unterscheiden. Und ich frage mich, ob es zunehmend zum guten feministischen Ton gehört voll ausgelastet zu sein. Warum verweigern wir nicht mehr, immer unter Zeitdruck zu stehen und unsere Terminkalender zwei Wochen im Voraus vollzupacken? Wie könnte eine alternative Zeitplanung gestaltet sein?

Inwiefern erheben wir Funktionieren auch in feministischen Kreisen zur Norm? Was muss ich leisten können, um dazu gehören zu können? Welche Fähigkeiten und Zugangsmöglichkeiten setzen welche Aktionen und Projekte voraus? Wie kommt die Demo zu Feminist_innen, wenn Feminist_innen nicht zur Demo kommen können?

Immer wieder nehme ich wahr, wie FrauenLesbenTrans* als Folge einer rassistisch-homophob-transphob-ableistisch-klassistisch-...-sexistischen Gesellschaft an der Welt verzweifeln. Häufig resultiert diese Verzweiflung in Rückzug oder selbstschädigenden Umgangsstrategien. Ich frage mich immer wieder, wie ich Menschen in ihren Verzweiflungsphasen in meinen feministischen Communities halten kann. Ich kann zwar keine Verantwortung für ihr Leben übernehmen, aber ich kann ihnen Formen von Unterstützung anbieten. Dafür muss ich meinen Projektestress erstmal abschütteln, um mich gut auf Begegnungen einlassen zu können.

Das ist ein Puzzlestück meiner Vision für ein feminstisches Retreat-Center. Ich möchte einen Rückzugsraum schaffen, der eine Auszeit anbietet und sich jenseits von Funktionier-Normen bewegt. Wo Verzweiflung Platz haben kann und Verzweifelte von Menschen umgeben sind, die gerade emotional Platz dafür haben.

Welche Dynamiken hat dein_e busy bee?
Wie gehst du mit deiner Verzweiflung um? Und wo wendest du dich mit ihr hin?
Wie lassen sich feministische Vernetzungen und Communities jenseits von Funktionier-Normen gestalten? Was kann dein Beitrag dazu sein?

Samstag, 11. Mai 2013

Krisen-Gegenmittel

Das wohl beste Gegenmittel zu fast jeder Krise: Verbundenheit.

Als mich als junge Erwachsene das Wahrnehmen einer sexistischen und kapitalistischen Gesellschaft in die Depression stürzte, war es wichtig, damit nicht allein zu sein. Um mich herum waren andere, die Ähnliches durchmachten, und wir teilten unsere Tiefpunkte, unsere Strategien, unsere Analysen und unsere Fehltritte. Daraus sind innige Kontakte entstanden, die mich heute noch tragen.

Gewalt und Diskriminierung isolieren. Kapitalismus lehrt Konkurrenzverhalten. Krisen lassen Rückzug attraktiv erscheinen.

In solchen Situationen fällt es mir nicht immer leicht, zum Hörer zu greifen und andere um Unterstützung zu fragen. Verletzlichkeit ist für mich immer noch etwas, das mir manchmal peinlich ist. Ich will keinen weiblichen Stereotypen entsprechen und mime deswegen lieber die Starke.
Doch was mir wirklich in Krisensituationen hilft, ist die Verbundenheit mit anderen: Mich von der Zuversicht anderer anstecken zu lassen, Lebensfreude zu tanken, mich an der Schulter einer Freundin ausheulen zu können, mich in mein soziales Netz fallen zu lassen und darauf vertrauen zu können, dass ich gehalten werde.

Verbundenheit mit anderen lässt mich lebendig fühlen. Ich versuche täglich mein Herz so weit zu öffnen, dass ich mich mit anderen verbinden kann. Jeden Tag in der Begegnung mit den tollen Feminist_innen, die mich umgeben, meine Rüstung abzulegen, die ich mir vor Jahrzehnten als Schutz zugelegt habe. Mit_fühlen und das Verweigern von Abstumpfen.

Ich bin dankbar für die Verbundenheit mit meinen Mitstreiter_innen und Kolleg_innen, für die Herzenswärme meiner Freund_innen und jedes Lächeln im Großstadtgrau.

Wer gehört in meinen Inneren Kreis?
Eine kleine Übung (inspiriert von Julia Cameron):
  • Zeichne einen Kreis.
  • Schreibe in das Innere des Kreises die Menschen, die dir gut tun und an die du dich wenden möchtest, wenn du Unterstützung brauchst.
  • Schreibe außerdem in das Innere des Kreises, welche Seiten du mit diesen Menschen ausleben kannst.
  • Schreibe außerhalb des Kreises die Menschen in deinem Leben, die dir nicht gut tun und die du lieber auf Distanz halten möchtest.
  • Gibt es Menschen, die du gerne auf die Linie des Kreises schreiben möchtest?
  • Wie geht es dir bei dem Betrachten des Kreises? Gibt es Überraschungen?
  • Mit wem verbringst du deine Zeit? Und entspricht dies deinen Eintragungen im Kreis?

Mittwoch, 1. Mai 2013

ReAktionsdruck

Als feministische Aktivist_innen spielen wir häufig Feuerwehr. Selbst in meinem Körper ist ReAgieren eingeschrieben, sei es auf den sexistischen oder homophoben Spruch auf der Straße oder irgendwas Rassistisches, das in den Medien passiert.

Meine Hoffnung ist, dass es auch irgendeine Form von Agieren ist, weil ich handle, Sachen nicht hinnehme und versuche, auf eine kleinere oder gesellschaftlichere Veränderung hinzuwirken. Und doch bleibt es immer nur eine Reaktion. Ich agiere, weil ich in das Agieren anderer intervenieren möchte. Und dabei entsteht eine Abhängigkeit. Ich spüre die Abhängigkeit, wenn ich emotional davon belastet bin, was um mich herum passiert. Ich spüre die Abhängigkeit, wenn auf die Reaktion von mir keine Reakton kommt oder eine gewaltvolle Reaktion kommt. Ich spüre die Abhängigkeit, wenn ich immer mehr Energie in die gewaltvolle Dynamik gebe, weil ich die Hoffnung habe(n muss), dass sich vielleicht doch noch etwas verändert.

Ich brauche Zeiten, wo ich aus diesem ReAktionsdruck aussteige. Und doch liegt die Entscheidung so selten bei mir, außer ich ziehe mich in die Isolation zurück und bin auch nicht in virtuellen Welten unterwegs.
Ein kleiner Schritt aus der Abhängigkeit heraus ist, wenn ich meine Zufriedenheit mit Interventionen nicht an der ReAktion meines Gegenübers messe, sondern an meinem eigenen Verhalten: Habe ich nach meinen eigenen Werten gehandelt? Habe ich eine Intervention gefunden, in der ich keine Gewalt reproduziere? Hab ich auf meine eigene Sicherheit geachtet? Hab ich mir danach selbst Anerkennung gegeben bzw. gut für mich gesorgt, wenn die Situation mich verletzt, verunsichert oder gefährdet hat?

Es hilft mir aber auch, die Momente und Situationen zu sammeln, in denen mein ReAgieren einen Effekt hatte, in denen ich kleine Veränderungen bewirkt habe. All die schlechten Erlebnisse bleiben meistens stärker hängen. Und ich habe gemerkt, dass ich mich aktiv an die (mehr oder weniger) erfolgreichen Interventionen erinnern muss. Diese Erlebnisse hab ich meistens in meinem sozialen Umfeld oder in Kontexten, wo ich mich auf gemeinsame Werte beziehen kann, wo es emotionale und/oder politische Nähe gibt.

Um sich an positive Erlebnisse zu erinnern, kann ich dir zwei verschiedene Formen vorschlagen:
1. Du kannst ein Freude-Heft führen, in das du jeden Abend fünf Sachen schreibst, über die du dich heute gefreut hast. Für manche kann es auch stimmiger sein, das Heft als Dankbarkeitsheft zu bezeichnen und Sachen zu notieren, für die du dankbar bist. Dort ist dann eben auch Platz für ReAktionen, mit denen du zufrieden warst.
2. Du kannst dir ein Einmachglas zulegen, in denen du deine Erfolgserlebnisse sammelst. Jedes Erfolgserlebnis kommt auf einen kleinen Zettel, der zusammengefaltet und ins Glas gelegt wird.

Und wenn du frustriert bist oder dich über die Welt ärgerst, kannst du nachlesen, was du schon geschrieben hast und hoffentlich wieder Energie für die nächsten ReAktionen tanken.

Weitere Blogposts zu dem Thema:
Eine Frage der Haltung
Immer auf Rufbereitschaft

Samstag, 27. April 2013

Das Selbst in Selbstfürsorge

Heute möchte ich das kleine Wörtchen "selbst" in Selbstfürsorge betonen. Denn bei Selbst-für-sorge geht es weniger um das Sorgen, sondern eher darum etwas für sich selbst zu tun.

Als feminitische Aktivistin bin ich es gewohnt mich um andere zu sorgen, mir Sorgen zu machen, für andere da zu sein. Schon schwieriger wird es, wenn ich versuche, für etwas zu sein. Obwohl ich ja behaupten würde, dass es ein wichtiger Teil meiner Selbstfürsorge ist, mehr für etwas zu sein als immer nur gegen etwas. Doch das "Selbst" ist die schwierigste Aufgabe.

In meinem Blog geht es mir nicht darum, euch Wellness-Tipps zu geben, die ihr dann auch noch auf eure To-do-Liste setzt, um brav ein Häkchen dahinter machen zu können. Ich hab selbst immer wieder die Tendenz, Selbstfürsorge als eine weitere Aufgabe zu sehen, die ich auch noch zu erledigen habe. Und wenn ich es nicht hinbekomme, bin ich frustriert und mach mich schlecht, weil ich zu faul bin/ nicht konsequent genug bin/ mich nicht gut genug kümmere...

Aber darum geht es ja nicht wirklich. All die einzelnen Formate (wie Meditieren, Morgenseiten, Spazierengehen, ...) sind ja eigentlich nur Möglichkeiten, um mir selbst zu begegnen. In meinem Alltag kann ich selbst leicht in Vergessenheit geraten. Doch wenn ich für mich sorge, dann rücke ich mich selbst für eine kurze Zeit selbst in den Mittelpunkt. Das hat nichts mit Egoismus oder Selbstverliebtheit zu tun. Ich wünsche mir von mir selbst, dass ich mir mit der gleichen Wertschätzung und Aufmerksamkeit begegne, wie ich das auch anderen gegenüber tue.
Auch in den Begegnungen mit mir selbst mache ich Fehler, bin ich hart zu mir oder unaufmerksam. Ein Teil meiner Selbstfürsorge ist auch zu lernen, mich bei mir selbst zu entschuldigen und (fast noch wichtiger) mir selbst zu verzeihen und dann einen neuen Anlauf zu nehmen.
Kein Perfektionismus also in Sachen Selbstfürsorge, sondern Mut zu Fehlern, viel Raum für Lernen und Ausprobieren.

Ich hab online ein tolles Projekt gefunden, wo einzelne (auf englisch) über ihre unperfekte Selbstfürsorge schreiben: The Perfectly Imperfect Project: Real Self-Care.
Vielleicht macht es dir Hoffnung, dass du auch gut für dich sorgst, selbst wenn nicht alles nach (Wellness-) Plan läuft.

Wo bist du selbst in deiner Selbstfürsorge? Was macht dieses Selbst besonders aus?
An welchen Stellen ist deine Selbstfürsorge vollkommen unvollkommen?
Wie kannst du dir selbst am besten begegnen?

Sonntag, 21. April 2013

Eine Frage der Haltung

Schon immer hatte ich eine Begeisterung für Science Fiction- und Fantasy-Romane. In meiner Jugend verschlag ich alle Romane von Marion Zimmer Bradley. Dann fand ich den anarchistischen Utopie-Roman "bolo'bolo" und hab mich das erste Mal gefragt, wie ich leben möchte und wie ein Leben nach einer gesellschaftlichen Veränderung gestaltet sein könnte. Heute füllen feministische Romane von Octavia Butler, Marge Piercy, Margaret Atwood und Ursula LeGuin die Science Fiction Ecke meines Bücherregals.

Was hat aber Science Fiction und die Flucht in ferne Welten mit Selbstfürsorge zu tun?
Zum einen denke ich, dass Ablenkung auch ein wichtiger Teil von Selbstfürsorge sein kann. Nicht immer hab ich noch die Energie, auf eine Weise für mich zu sorgen, in der ich Geschehenes verarbeiten kann und in mir selbst zur Ruhe komme. Manchmal ist es auch einfach gut, abzuschalten und mich mit ganz anderen Dingen zu beschäftigen.
Der Punkt, um den es mir hier aber geht, ist, dass Science Fiction die Frage nach anderen Lebensweisen stellt. Darüber hab ich einen Zugang zu der Frage gefunden, wie ich den eigentlich leben möchte. Während ich früher ganz stark nach anderen gesellschaftlichen Modellen gesucht habe, sind es heute eher Überlegungen zu der Haltung, mit der ich mich im Alltag bewegen möchte. 

In meinem Post "Wenn Nähe Distanz schafft" hab ich am Ende die Frage gestellt, wie wir respektvoll und verantwortungsvoll miteinander umgehen können. Ich finde die Frage sehr schwierig, weil ich feministisch so sozialisiert wurde, gegen Dinge zu sein, mich über sexistische Situationen aufzuregen, gegen Gewalt und Diskriminierung zu intervenieren. All diese Dinge finde ich wichtig und tue ich auch heute noch, aber in den letzten Jahren hab ich zunehmend gemerkt, dass mir die positiven Gegenkonzepte fehlen. Wenn nicht so, wie dann? ist die Frage, die mich beschäftigt.
Wie möchte ich meine Freund_innenschaften und Beziehungen leben, wenn sie nicht von Gewalt geprägt sein sollen? Wie möchte ich andere auf eine Art und Weise kritisieren, die ihnen die Möglichkeit zur Veränderung einräumt? Nach welchen Werten richte ich mein eigenes Verhalten aus? Wie kann ich anderen mit Wertschätzung begegnen und wie kann ich Verantwortung für mein Verhalten übernehmen, wenn ich das mal nicht tue?

Für mich ist Selbstfürsorge deswegen auch ganz viel eine Frage der Haltung. Es kommt nicht so sehr auf die einzelnen Formen an, die ich für meine Selbstfürsorge wähle. Es kommt nicht so sehr darauf an, ob ich meine Morgenseiten schreibe oder meditiere. Für mich sind es nur Hilfsmittel, um mich mit einer wertschätzenden Grundhaltung durch mein Leben bewegen zu können. Diese Haltung entspannt mich, weil sie mir mehr Wahlmöglichkeiten eröffnet und ich nicht so sehr im Reagieren auf alles Schlechte in dieser Welt verhaftet bleiben muss. Das ist für mich eine Weise, gut für mich selbst zu sorgen, weil ich mich nicht mehr so sehr mit Negativität anfülle.

Wie möchtest du leben?
Welche Werte sind dir in deinem Leben wichtig?
Wie kannst du gut für dich sorgen, wenn du gegen Gewalt und Diskriminierung intervenierst?
Was machst du gerne, um abzuschalten? Und was hilft dir, Dinge zu verarbeiten?

Freitag, 12. April 2013

Die süße Kunst des Nichtstuns

Ich hab bereits darüber geschrieben, dass die Vorstellung, dass es immer wieder etwas zu tun gibt, zu Erschöpfung bei Aktivist_innen führen kann. Ein Phänomen, das ich selbst nur zu gut kenne. Und am besten erkennbar finde ich es, wenn ich mir meinen Kalender betrachte und gucke, wie voll der eigentlich so ist und mit was er so gefüllt ist. Was steht in deinem Kalender in dieser und nächster Woche? Welche Termine nehmen dir Energie und welche geben dir Energie? Wann sind die nächsten freien Zeiten erkennbar? Und wie lange ist es noch bis dahin?
Und wann gibt es den nächsten Tag ohne feste Verabredungen und Pläne?

Ich muss mich als Leser_in von manchmal kitschigen Büchern outen, so auch Elizabeths Gilberts "Eat, Pray, Love" (der auch mit Julia Roberts in der Hauptrolle verfilmt wurde). Und manchmal stecken in kitschigen Büchern schlaue Sachen. In dem Buch hab ich das Konzept von "Dolce Far Niente" - die süße Kunst des Nichtstuns - kennengelernt. Und damit eine passende Beschreibung für meine Jaydays gefunden.

Ein Jayday ist - wie der Name schon sagt - ein Tag, an dem ich keine Verabredungen plane und den ich mit mir alleine verbringe. Ich mach keine konkreten Pläne und nehm mir nichts Festes vor. Es ist ein Tag, an dem ich versuche, im Augenblick zu leben und meinen Bedürfnissen zu folgen. Ich nehm mir Zeit nachzuspüren und in mich reinzuhorchen. Ich lasse es mir gut gehen. Es tut mir gut, keine gequetschte Zeit zu haben, wo immer schon das Nächste auf mich wartet.

Es sind für mich die Tage, an denen ich übe, meine Bedürfnisse zu spüren. Ich merke, dass ich da regelmäßige Übung brauche. Wenn ich zum Beispiel an einem Jayday das Bedürfnis bekomme, meine Wohnung zu putzen, dann frag ich mich, ob ich das jetzt machen will, weil ich es nicht aushalte, nicht produktiv zu sein und nicht zu funktionieren. Oder kommt das Bedürfnis daher, dass ich durch klare Fenster den Frühling sehen möchte und mich danach auf meinem Sofa die Sonne genießen kann? Und meist ist es eine Mischung aus beiden. An Jaydays versuche ich, meinen Funktioniermodus abzulegen, spielerisch zu sein und genießen zu lernen.

Was ist für dich Dolce Far Niente?
Wo bist du?
Was machst du (nicht)?
Über welche Sinne nimmst du was wahr?
Welche Bedrüfnisse entstehen (am Anfang und während des Tages)?
Was hilft dir, im Hier und Jetzt zu sein?

Ich wünsch dir viel Freude beim Nichtstun.

Dienstag, 26. März 2013

Wenn Nähe Distanz schafft

Was bedeutet eigentlich Solidarität? Und wie emotional belastend kann das Ringen um Solidarität sein?

In dem Buch "Entscheidend einschneidend - Mit Gewalt unter Frauen in lesbischen und feministischen Zusammenhängen umgehen" wird eindrücklich beschrieben, wie Solidarität in feministischen Zusammenhängen häufig an Grenzen stößt und das Miteinander eher durch gewaltvolles Verhalten als durch einen respektvollen Umgang geprägt ist.

In dem Artikel "Nein, also die... - Über Mobbing, Ächtung und Auschluss in Frauen- und Lesbenzusammenhängen" schreibt Michi Ebner:
Gruppenstrukturen mit Gleichheitsdruck verlangen zudem, dass alle Gruppenmitglieder im konstruierten Wir-Gefühl untertauchen, wobei jede, die nicht in diese scheinbare Gleichheit passt oder bewusst aus ihr heraustritt, in Gefahr des Ausschlusses gerät. (...)
Viele geben sich gerne "individuell, "widerständig", "eigenwillig", und würden es sich nicht einmal selbst vergegenwärtigen, dass Anpassung an die Gruppe einen wichtigen Stellenwert für sie hat. Denn das passt nicht in das Selbstbild der politisch aktiven Feministin. Und doch scheinen de facto Verschiedenheit, persönliche Stärke, die Fähigkeit eigene Entscheidungen zu treffen, das Übernehmen von Verantwortung für das eigene Handeln in krassem Widerspruch zu den in der Bewegung sehr weit verbreiteten Gruppenstrukturen zu sein.

Ich nehme zwei Formen wahr, wie Solidarität an ihre Grenzen stoßen kann:

Zum einen belastet es mich, wenn unterschiedliche Perspektiven keinen Raum haben dürfen und der Druck nach Einheitlichkeit hoch ist. Ich finde es wichtig, als Feminist_innen gemeinsame Positionen zu entwickeln, die strukturelle Gewalt wahrnehmen und Mehrfachdiskriminierung in den Mittelpunkt stellen. Aber ebenso finde ich es wichig, Platz zu lassen für Widersprüche und Widersprechen, für unterschiedliche Prioritäten und Schwerpunktsetzungen. Leider sind feministische Zusammenhänge und Gruppen immer wieder von Kämpfen um die radikalste Position und Deutungshoheit geprägt. Aus Solidarität wird Loyalitätsdruck: entweder du bist auf meiner Seite oder du bist gegen mich. Und zum Teil kann ich diese Perspektive auch verstehen: Aus erfahrener Gewalt entsteht ein Wunsch nach Unterstützung und geschützten Räumen. Nur leider kann aus diesem Wunsch nach Unterstützung eine zwanghafte Erwartung werden. Das hab ich an mir selbst schon erlebt und es tut mir leid, wie ich damit andere unter Druck gesetzt habe. Ich kann andere nicht zwingen, eine andere Meinung herunterzuschlucken.

Zum anderen finde ich es schwierig, wenn  die politischen Ideale und Utopien, die wir inhaltlich besprechen,  in den eigenen Zusammenhängen nicht gelebt werden. Feministische Zusammenhänge sind keine diskriminierungsfreien Räume. Ein Wunsch nach geschützten Räumen macht meiner Meinung nach nur aus privilegierter Perspektive Sinn, wo keine Verbündeten benötigt werden und die vermeintlichen "Feinde" ausgeschlossen werden können. Das macht ein Ansprechen von Diskriminierungen und gewaltvollen Äußerungen nahezu unmöglich, weil sie ja per se nicht stattfinden dürfen und können. Konstruktive Kritik ist nicht gewünscht. Für mich ist es aber wichtig, verantwortungsvoll miteinander umzugehen. Ich möchte von anderen darauf aufmerksam gemacht werden, wenn ich mich nicht nach meinen (unseren geteilten) feministischen Ansprüchen verhalte. Und ich möchte andere darauf hinweisen, um ihnen die Möglichkeit zur Veränderung zu geben.

Die Schwierigkeit besteht für mich häufig darin, das eine von dem anderen zu unterscheiden. Möchte ich gerade Kritik geben, weil ich wahrnehme, dass sich gerade jemand nicht verantwortungsvoll verhält? Oder ist meine vermeintliche Kritik eine Erwartung nach Einheitlichkeit und ein Zurechtweisen, sich nach meinen Vorstellungen zu verhalten? Ich finde es wichtig, solidarisches Verhalten gemeinsam zu reflektieren und zusammen Wege zu finden, ein verantwortungsvolles Miteinander aufzubauen und zu füllen und zu leben.

Ich wünsche mir, dass wir mehr sprechen, wie uns unsolidarisches Verhalten belastet. Ich wünsche mir, dass wir Umgangsstrategien entwickeln, dass sich nicht immer mehr Aktivist_innen aus feministischen Zusammenhängen zurückziehen, weil ihre Stimmen dort nicht gehört werden.

Was bedeutet eigentlich Solidarität für dich?
Wie können wir verantwortungsvoll und respektvoll miteinander umgehen?
Wie wollen wir uns gegenseitig Kritik geben, um gemeinsam wachsen zu können?
Wie kann ein feministischer Aktivismus mit Raum für unterschiedliche Perspektiven geschaffen werden?

Montag, 18. März 2013

Immer auf Rufbereitschaft

Zur Arbeit vieler Ärzt_innen im Krankenhaus gehört es, an einigen Tagen auf Rufbereitschaft zu sein, d.h. dass sie zwar nicht auf Arbeit sein müssen, aber angerufen werden können, wenn sie gebraucht werden. Durch diese Möglichkeit, angerufen zu werden, verschwimmen die Grenzen zwischen beruflichem und privatem Leben. Aber was passiert, wenn du als Aktivist_in immer auf Rufbereitschaft bist und jederzeit damit rechnest, dass dein Einsatz gebraucht wird? Wenn es immer eine_n Betroffene_n von Gewalt gibt, die_der Unterstützung braucht? Wenn es immer einen diskriminierenden Artikel/ Spruch/ Werbeslogan/ etc. gibt, auf den es eine Reaktion geben sollte? Wenn es immer eine neue Aktion gibt, die geplant werden sollte?

Als feministische Aktivist_in bin ich mit dem Slogan "Das Private ist politisch" groß geworden. In vielerlei Hinsicht war und ist es ein wichtiger feministischer Ansatz, vermeintlich private Themen in den öffentlichen Raum zu tragen, sei es häusliche Gewalt, unbezahlte und gesellschaftlich nicht-anerkannte Hausarbeit oder die Auswirkungen von Schönheitsnormen und Rollenerwartungen.
Die Kehrseite von dem politisierten Privaten ist: Das Politische ist sehr persönlich. Dass es um die eigenen Themen geht oder um Themen, die zu den eigenen erklärt wurden, macht es häufig schwer, sich von diesen abzugrenzen. Aktivismus ist eine feministische Lebensweise - rund um die Uhr. Und das ist auch gut so und wichtig. Aber mir stellt sich dann die Frage, wie Grenzen geschaffen werden können, wenn es nicht über die Unterscheidung "beruflich - privat" stattfinden kann. Wenn es keine festen Zeiten für Aktivismus geben kann, vielleicht braucht es dann feste Zeiten zur Selbstfürsorge.

In der englischsprachigen Broschüre "Self-Care and Self-Defense Manual for Femnist Activists" (die es hier als kostenlosen Download gibt) schreiben die Autorinnen:
Es gibt bestimmte Annahmen, was es bedeutet, Aktivist_in zu sein, vor allem was es bedeutet "ein_e gute_r Aktivist_in" zu sein und wie "Engagement" aussieht. In vielen Fällen zentrieren sich diese Annahmen auf "Opfer für die gute Sache machen" und "den Aktivismus zum Mittelpunkt des eigenen Lebens machen". Es ist sicherlich wichtig, diesen Werten ihre Bedeutung zuzugestehen, aber häufig werden dadurch Praktiken angepriesen, die nur schwer auf Dauer durchzuhalten sind und die manchmal nicht im Einklang mit Selbstfürsorge und Selbstschutz für die Aktivist_innen selbst sind.  (S. 21, Übersetzung JK)

Deswegen möchte ich dir heute folgende Fragen mitgeben:
Wann nimmst du dir die Zeit, all die aktivistischen Themen auf einer persönlichen Ebene zu verarbeiten?
Was machen diese Themen emotional mit dir?
Welche Formen hast du, um dich mit diesen gut zu beschäftigen? Schreibst du, malst du, sprichst du mit Freund_innen, tanzt du? Oder was ist deine Ausdrucksform?
Wie baust du Druck und Anspannung ab?
Wie gibst du deiner Wut, deiner Traurigkeit, deiner Verzweiflung Raum?
Wann und wie feierst du Erfolge (auch wenn sie noch so klein sind)?

Samstag, 23. Februar 2013

Das Bedürfnis nach Stress loslassen

Ich übe mich darin, die Glaubenssätze loszulassen, die mich festhalten. Es geht um die Glaubenssätze, an denen ich festhalte und die mich davon abhalten, mein ganzes Potential zu erfüllen und gut für mich zu sorgen.

Loslassen ist nicht Verdrängen - eher das Gegenteil. Meist erfordert Loslassen erstmal, dass ich mich sehr vertraut mit dem mache, was mich leiden lässt. Ich muss es erst verstehen, um es loslassen zu können

Mich gestresst fühlen ist eine solche Sache. In meinem Stress stecken so viele Glaubenssätze, an denen ich festhalte und die mich davon abhalten, für mich zu sorgen: Ich denke, dass ich nur etwas wert bin, wenn ich viel leiste. Ich gefalle mir selbst in dem Modus, wenn ich super beschäftigt bin. Ich liebäugele mit meinem eigenen Limit und taste mich an dieses heran in der Hoffnung, es dieses Mal austricksen zu können. Ich denke, dass ich funktionieren muss und dass das nicht möglich ist, wenn ich auf mich selbst achte, weil ich dann bestimmt die nächsten Monate nur im Bett liegen möchte.
Ich muss mich diesen Glaubenssätzen und unschönen Wahrheiten über mich stellen, bevor ich mein Bedürfnis nach Stress loslassen kann - um dann auch den Stress loslassen zu können. Und ich muss dieses Bedürfnis nach Stress nicht nur einmal loslassen, sondern immer wieder. Deswegen hilft es, wenn ich vertraut damit bin, um zu erkennen, wann das Bedürfnis auftaucht.
Und wenn ich mein Bedürfnis nach Stress loslasse, dann fällt es mir leichter, nein zu Aufgaben und Anfragen zu sagen und besser auf meine Grenzen zu achten. Mich hält nichts mehr davon ab, gut für mich zu sorgen.

Was sind deine Glaubenssätze, die ein Bedürfnis nach Stress bei dir auslösen?
Mach dich mit ihnen vertraut, um sie loslassen zu können.

Freitag, 15. Februar 2013

Fülle fühlen

Ich habe 2013 zu meinem Jahr der Fülle erklärt.
Und gerade lerne ich zu verstehen, dass ich die Leere brauche, um die Fülle fühlen zu können. Die Leere zuzulassen und mich nicht mit Informationen zu überschwemmen - auch wenn sie manchmal noch so wichtig erscheinen.
Diese Leere spüre ich beim Meditieren. Und Meditieren macht mich so leer, dass ich danach meine eigene Fülle fühlen kann - nicht die Fülle, die von außen kommt, das Lärmen der Gorßstadt, dass mich anfüllt. Sondern die Fülle meiner Gefühle, die Fülle erfüllender Gespräche und Begegnungen, mehr Achtsamkeit dafür, was bereits da ist und gefühlt werden möchte.
Meditieren hilft mir dabei, gelebtes Leben zu leben und erfüllte Fülle zu fühlen.

Immer mal wieder fragt mich wer, wie ich meditiere. Und ich weiß immer nicht so richtig, welche Antwort sie genau erwarten. Die ehrliche, sehr einfache und mir in dem Moment immer leicht peinliche Antwort ist: Ich sitze auf meinem Kissen und beobachte meinen Atem. Und genau das ist es, was ich an Meditieren schätze. Es ist so einfach und doch gleichzeitig die größte Herausforderung. Zwanzig Minuten sitzen und nach jeder Ablenkung wieder zum Atmen zurückkehren. Ich plane in Gedanken meinen Tag, mir fällt mein Denken auf, ich kehre zum Atem zurück. Mein Rücken schmerzt, mir fällt mein Körpergefühl auf, ich kehre zum Atem zurück. Ich werde wütend wegen dem, was ich in den Nachrichten gelesen habe, mir fällt mein Gefühl auf, ich kehre zum Atem zurück. Ich denke, dass es vor allem um das Zurückkehren geht. Für mich sind die zwanzig Minuten auch eine Wertschätzung meines Körperhandelns. Während ich in der Welt handle und das so wichtig nehme, handelt mein Körper alleine von sich aus für sich: Atem, Herzschlag, Verdauung, das innere abgestimmte Arbeiten aller Organe. Ich finde das beeindruckend und mag meine Minuten der Achtsamkeit dafür.

Zum Meditieren motiviert hat mich:

Montag, 11. Februar 2013

Lieblingsauszeit 5

Hier ist eine weitere Lieblingsauszeit von Julia:

"Ich habe rausgefunden, dass ich am besten Auszeit nehmen und mich um mich selbst kümmern kann, wenn ich mich mit (Heil-) Pflanzen beschäftige: sie anschauen, anpflanzen, abzeichnen, über sie lesen, sie zu mir nehmen (z.B. als Tee oder als Tinktur), sie räuchern, sie fühlen und riechen...

Mich mit (Heil-) Pflanzen zu beschäftigen führt mich immer wieder dazu, mich zu fragen, was mich an welcher (Heil-) Pflanze gerade anspricht und warum: Was hat sie mit mir zu tun? iIst es etwas, was ich stärker haben/sein/fühlen möchte? Erkenne ich mich wieder in ihr? Verkörpert sie für mich etwas, was ich gerade brauche? Und mich mit Heilwirkungen zu beschäftigen, darüber zu lesen und etwas auzuprobieren, hilft mir dabei, mir klarer darüber zu werden, was mir fehlt, wo ich Unterstützung brauche, was ich verändern möchte, wie es mir gerade geht.

Einen richtigen Schub in Richtung Selbstürsorge hat mir ein (damals noch 3-tägiger) Heilkräuterworkshop bei Kristin Peters gegeben, der mein letztes Jahr nachhaltig positiv verändert hat.

Für dieses Jahr habe ich mir eine bestimmte Heilpflanze ausgesucht - als Orientierung, Inspiration und Unterstützung."

Sonntag, 10. Februar 2013

Morgenspaziergänge

Jeden Morgen geh ich - zumindest bei nicht allzu schlechtem Wetter - eine halbe Stunde durch dem Park, bevor ich zur Arbeit gehe. Vor allem im Winter macht es mich ruhiger, wenn ich morgens kurz im Grünen war und den Himmel gesehen hab. Am Anfang hab ich es mir zur Aufgabe gemacht, auf meinem Weg mindestens ein Tier (Hunde zählen nicht) wahrzunehmen und mich über jedes Eichhörnchen gefreut. Jetzt nehm ich meine Kamera mit und versuch für schöne Momente aufmerksam zu sein.
Ich geh einmal quer durch den Park zur übernächsten U-Bahnstation. So verbinde ich meinen kleinen Ausflug in die Natur mit meinem Arbeitsweg, für den ich mir dann einfach nur etwas mehr Zeit einplane. Die Idee hab ich von den lebensfreude-heute-Botschaften von Karima Stockmann.

Zusammen mit meinen Morgenseiten hatte ich dann jeden Morgen schon eine Stunde für mich, bevor der Tag wirklich über mich hereinbricht. Es tut gut zu wissen, dass mir diese Stunde, in der ich für das Innen und das Außen aufmerksam bin, gehört, egal wie hektisch oder stressig der Tag wird.

Hier ist ein Foto, von einem meiner Spaziergänge letzte Woche:


Samstag, 5. Januar 2013

Mir selbst zuhören

In meinem letzten Post hab ich darüber geschrieben, dass es mir für das kommende Jahr wichtig ist, gut im Kontakt mit mir selbst zu sein. Mein wichtigster Kontaktpunkt mit mir selbst sind meine täglichen Morgenseiten. Die Idee hab ich aus Julia Camerons „Der Weg des Künstlers“. (Hier gibt es ein englischsprachiges Video von Julia Cameron zu Morgenseiten: http://juliacameronlive.com/basic-tools/morning-pages/ und hier findet sich eine gute Zusammenfassung der Technik: http://www.kreativesdenken.com/artikel/morgenseiten-schreiben.html).
Jeden Morgen schreib ich als allererstes drei Seiten per Hand, einfach das, was auch immer geschrieben werden möchte – ohne Zensur und ohne Stildruck. So komm ich mit mir in den Kontakt und höre mir drei Seiten lang selbst zu.

Für mich ist mein Selbst-Zuhören eine Möglichkeit, Verantwortung für mein Leben zu übernehmen. Ich höre, worüber ich mich beklage, worüber ich mich freue, wofür ich dankbar bin und was mich beschäftigt. Ich merke, ob ich viel über Vergangenes nachdenke oder über die Zukunft grüble. Ich bin einfach nur für mich selbst, meine Gedanken und Gefühle da.
Im Anschluss kann ich etwas mit dem Gehörten machen. Manchmal muss ich wochenlang über meine Wünsche schreibe, bevor ich ihnen wirklich Gehör gebe und merke, dass da etwas erfüllt werden möchte. Aber egal wie lange es dauert und wie ich dann etwas realisiere, am Anfang steht, mir selbst zuzuhören.

Freitag, 4. Januar 2013

Gute Vorsätze fürs neue Jahr


Hast du den Jahreswechsel dafür genutzt, dir Sachen fürs nächste Jahr vorzunehmen? 

Für mich ist das Jahresende häufig eine Zeit der Selbstreflektion. Ich schreibe viel, lass mich von Fragen aus verschiedenen Büchern und Blogs inspirieren. Meistens dreht sich dabei sehr viel um Selbstfürsorge.

Was ich dabei aber auch merke, ist eine latente Unzufriedenheit, wenn meine guten Vorsätze fürs neue Jahr sich ein bisschen schwer anfühlen und nach einem weiteren Programmpunkt in meiner bereits angefüllten Woche.
Wie ist das mit deinen guten Vorsätzen? Fühlen sie sich schwer an? Sind es weitere Sachen, die du auch noch tun musst? Oder geht es darum, etwas wegzulassen?

Ich hab dieses Jahr versucht, mir neue Perspektiven vorzunehmen anstatt Dinge, die ich tun will: Ich will darauf achten, mein Leben als angefüllt wahrzunehmen und zwischen Fülle und Stress unterscheiden lernen. Ich will mehr darauf achten, wann ich im Kontakt mit mir selbst und gut geerdet bin. Also eher kleine Wahrnehmungsübungen und hoffentlich –verschiebungen statt große Punkte auf meiner to-do-Liste.

Wie möchtest du nächstes Jahr für dich sorgen? Wie möchtest du achtsamer mit dir selbst sein?