Dienstag, 4. Juni 2013

Weiter als die Wut

Manchmal nehme ich gerne alte feministische Texte zur Hand, um nachzulesen, was früher schon zu bestimmten Themen diskutiert wurde. Ich will über feministische Wut schreiben und mir fällt "Weiter als die Wut" (1983) von Anja Meulenbelt ein. Ihr Vorwort beginnt mit dem Satz:
Jahrelang bin ich böse gewesen.
Und weiter:
Und danach? Gibt es eine Phase nach den Jahren der Wut? Ist das Feuer ausgebrannt, wenn du dich nicht mehr täglich aufregst, hast du dann deine Radikalität verloren? (...)
Wenn Aggression dasselbe bedeutet wie Streitbarkeit, dann bin ich weniger militant als früher. Wenn Streitbarkeit bedeutet, sich effektiver, zäher, beständiger und differenzierter daran zu machen, jede Form von Unterdrückung abzuschaffen, dann bin ich streitbarer als jemals zuvor. Was mich betrifft, gibt es eine dritte Phase nach dem Opferdasein und nach der ersten Wut. Eine Phase, in der Wut sich in Kreativität und Beständigkeit verwandelt hat und die als eine Weiterentwicklung zu betrachten ist. Einige betrachten das als Rückfall. Für andere, die an dem Prozess teilnehmen, ist es ein Schritt nach vorn. (S. 5-6)
Auch wenn ich Meulenbelts Entwicklungsnarrativ nicht unbedingt folgen möchte, so finde ich doch ihre Frage wichtig, was neben der Wut und dem Aufregen noch Platz haben darf. Für mich ist Wut wichtig: Es ist wichtig, mir Wut zu erlauben, Wut fühlen zu lernen und sie ist immer wieder ein wichtiger Motor für mein feministisches Handeln. Gleichzeitig ist Wut immer auch ein bezogenes Gefühl: Ich stecke meine emotionale Energie in das, worauf ich wütend bin. Wut hält mich davon ab, mir ganz andere Wege und Richtungen zu imaginieren. Wut nimmt Zeit weg für Wertschätzung und Anteilnahme gegenüber meinen feministischen Freund_innen.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass feministische Gemeinsamkeiten darüber geschaffen werden, sich über die gleichen Dinge aufzuregen. Und wer sich nicht über die gleichen Dinge aufregt, gehört irgendwie nicht dazu. Aufregen und Wut schaffen also auch Verbindung. Auf was basiert diese Verbindung? Wenn wir immer wieder mit unserer Wut auf gewaltvolle und diskriminierende Situationen und Zustände reagieren, wann bleibt dann die Zeit, um uns über unsere Utopien und Visionen auszutauschen?

Welche Auswirkungen haben Wut, Aufregen und Jammern auf dich und deine feministischen Communities?

Hier sind einige Fragen, anhand derer du den nächsten Moment der Wut beobachten kannst:
In welchen Momenten stärkt Wut deine Handlungsfähigkeit und in welchen Momenten verringert Wut deine Handlungsfähgikeit?
Ermöglicht dir Wut Verantwortung für das eigene Verhalten und deinen eigenen Handlungsspielraum in bezug auf die besprochenen Themen zu übernehmen?
Bewirken Aufregen und Jammern, dass es dir anfangs besser geht, aber dass langfristig ein bitterer Nachgeschmack bleibt?
Dreht ihr euch beim Aufregen im Kreis und landet immer wieder bei den gleichen Punkten?
Liegt der Fokus auf dem, was alles scheiße läuft, statt auf dem, was gerade gut ist?
Fühlen sich diejenigen durch Wut unterstützt, die möglicherweise als Betroffene von einer konkreten Situation erzählt haben?
Für wen ist Wut möglicherweise auch ein belastendes Gefühl, weil sie häufig mit Wut konfrontiert sind/ waren? Wie kann auf deren Grenzen geachtet werden?

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