Samstag, 16. November 2013

Worauf richte ich mich aus? Wie richte ich mich auf?

Ausrichten und aufrichten sind räumliche Handlungen, egal ob ich sie körperlich oder metaphorisch begreife. Durch aufrichtende und ausrichtende Handlungen sorge ich für mich, indem ich mich selbst (kritisch) reflektiere und (bewusst) Orientierungspunkte in meinem Leben setze.
Ich bin noch am Lernen, diese Handlungen auch stärker an meinen Körper gebunden zu begreifen. Gewalt und Diskriminierung werden häufig an Körper geknüpft, über Körper ausgetragen, haben körperliche Auswirkungen. Wie sind aufrichtende und ausrichtende Handlungen durch diese körperlichen Erfahrungen geformt?


Worauf ich mich ausrichten kann, ist eng damit verbunden, in welchen Räumen ich mich aufhalte und durch welche Räume ich mich bewege und wie ich mich in diesen Räumen bewege. Meine Orientierungspunkte sind verknüpft mit dem, was mir vertraut ist oder welche Impulse ich wahrnehme und aufgreife.
Ich richte mich aus durch die Selbstverständnisse und Selbstverständlichkeiten, die ich mir setze. Was bedeutet es konkret, wenn ich beispielsweise Feminismus zu meinem Wegweiser mache? An welchen feministischen Zielen orientiere ich mich? Feministische Orientierungspunkte prägen meinen Alltag: sie beeinflussen, mit welchen Themen ich mich beschäftige und zu welchen Themen ich mich austausche, welche Texte ich lese, welche Veranstaltungen ich besuche und womit ich sonst noch so meine Zeit verbringe. Sie prägen, wo ich meine Bezüge setze und zu wem ich mich in Beziehung setze. Es ist eine Frage, wen ich als mein Gegenüber begreife, mit wem ich mich gegen wen oder was ins Verhältnis setze. Es ist auch eine Frage, wie ich mich auf mein Gegenüber ausrichte: Begreife ich mein Gegenüber als Expert_in, als zu Belehrende_n, als Gesprächspartner_in, als Bündnispartner_in? Und wenn ich mich auf andere ausrichte, sind diese dann auch auf mich ausgerichtet? Und mit welcher Perspektive? Wie kann ich mich so auf andere ausrichten, dass ich mich an ihren Ausrichtungen orientiere? Wenn ich mich beispielsweise als weiße Person (auch) auf Feminist_innen of Color und Schwarze Feminist_innen ausrichte, dann richte ich mich auf auf deren Themen aus: Was sind ihre Orientierungspunkte und (wie) kann ich mich dazu ins Verhältnis setzen? Wie erfahre und entscheide ich, welche Nähe/ Distanz angebracht ist?
Meine Orientierungspunkte geben mir ein Gefühl von Sicherheit. Es ist aber eine riskante Form von Sicherheit. Es wird schwierig, wenn meine Selbstverständlichkeiten sich verselbstständigen. Immer wieder hab ich gemerkt, dass meine Selbstverständnisse sich verschoben haben, nicht ohne dass es mit Verunsicherungen einhergegangen ist. Mittlerweile hab ich etwas besser verstanden, dass es wichtig ist, mich auch immer wieder umorientieren zu können. Und es ist wichtig, mir und anderen gegenüber meine Orientierungspunkte so klar wie möglich zu machen.
Momentan richte ich mich in und auf diskriminierungssensible Räume aus. Mein Bedürfnis ist auch mich in diesen Räumen einzurichten und in ihnen ein Zuhause zu finden. Aber ich hinterfrage dieses Bedürfnis danach, ob mein Einrichten auf Kosten anderer stattfindet. Wenn ich mich ausrichte, dann nehme ich andere wahr. Wenn ich mich einrichte, dann wird mein eigener Komfort zum Maßstab. Einrichten würde heißen, dass mein wichtigstes Ziel ist, mich wohlzufühlen; dass ich mich mit den Menschen und Dingen umgebe, die mir Zuspruch geben und es mir nicht unbequem machen. Ich denke mittlerweile, dass diskriminierungssensible Räume nur außerhalb meiner eigenen privilegierten Komfortzonen geschaffen werden können. Wie können wir uns so aufeinander ausrichten, dass Bewegungsräume geschaffen werden, die möglichst diskriminierungssensibel gestaltet sind?


Aufrichten hat für mich zwei Facetten: Intervention und Empowerment.
In dem Moment, wo ich gegen Gewalt und Diskriminierung interveniere, spüre ich ein innerliches Aufrichten. Ich bin angespannt in Situationen, in denen ich Gewalt und Diskriminierung wahrnehme. Wenn ich mich innerlich aufrichte, komme ich aus der Anspannung heraus in ein Handeln. Welche Interventionshandlungen ich wähle und ich wählen kann, hängt davon ab, welche Ressourcen ich zur Verfügung habe, wovon ich strukturell profitiere, welche Communities ich in meinem Rücken weiß_vermute und wie ich mich körperlich und sprachlich handelnd aufrichten kann. Aufrichten ist riskant. Meistens kann ich mir selbst das Risiko aussuchen, andere seltener. Wie stark bin ich direkt und indirekt mit dem konfrontiert, gegen das ich mich aufrichte? Welche Wahlmöglichkeiten habe ich (vermeintlich)? In meinem Leben habe ich schon unterschiedliche Formen von Sexismus erlebt – abhängig von meiner jeweiligen Genderperformance zu dieser Zeit; abhängig von dem, mit wem ich unterwegs bin; abhängig von den Kontexten, in denen ich mich gerade bewege. Meine Wahrnehmung von Sexismus hat sich erweitert, mein Wahrnehumgsradius dehnt sich auf andere Formen von Gewalt und Diskriminierung aus. Wie kann ich mich kollektiv aufrichten, ohne in Logiken des "Aufstands der Anständigen" zu verfallen? Welche Kollektive wähle ich für mein Aufrichten? Wie kann ich mich kollektiv mit anderen aufrichten, ohne mich für andere aufzurichten? An welchen Stellen ist es wichtig, mich gerade nicht aufzurichten? Wie kann ich eine aufgerichtete Kritikfläche bieten und Kritk an meinem Aufrichten wahrnehmen? Von wem will ich Kritik an meinem Aufrichten annehmen?

Mich aufzurichten bedeutet auch mich selbst zu stärken. Ich hab den Vorteil, dass ich auf den Schultern anderer Feminist_innen und ihrer Kämpfe stehen kann. Ich will mich aber nicht auf den Rücken anderer aufrichten, auch wenn ich mir das nicht immer bewusst aussuchen kann. Inwiefern richte auch ich mich auf den Kosten anderer auf? Wie kann ich ein solches Aufrichten vermeiden?

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