Sonntag, 18. Mai 2014

Wie möchte ich mit Kritik umgehen? - Alternativen zu Zurückweisung und Selbstabwertung

Auf einem Treffen mit feministischen Aktivist_innen aus Ljubljana und Berlin zu "safer (public) spaces" haben wir über Praktiken von caring Communities gesprochen. Vielen Dank an meine Kleingruppe für den tollen Austausch! Dabei ging es auch um den Umgang mit Kritik.

Wenn es um Kritik in feministischen Räumen geht, fällt mir auf, dass es meistens um die Kritik an anderen und das Intervenieren in diskriminierendes oder gewaltvolles Verhalten geht. Ich imaginiere mich in der Rolle von derjenigen, die Kritik übt. Oder ich bin in der Position, dass ich verletzt werde und möchte, dass andere intervenieren und Stellung beziehen.
Entsprechend wird häufig in safer spaces, wie Empowerment-Workshops oder Austauschtreffen, zu Beginn der Veranstaltung danach gefragt, was in diesem Raum nicht stattfinden soll, auf welche Grenzen geachtet werden soll und welche Rückzugsmöglichkeiten eine Person möchte. Doch was passiert, wenn Grenzen verletzt werden? Wie können wir für solche Momente vorsorgen? Wie kann Kritik eingeladen werden? Wie können wir caring Communities schaffen, in denen ein Umgang mit Kritik selbstverständlich ist?

Wenn ich über caring Communities nachdenke, dann denke ich darüber nach, wie ich mich wertschätzend, fürsorglich und aufmerksam auf andere ausrichten kann. Dazu gehört für mich auch ein selbstkritischer Umgang damit, dass ich mich selbst (potentiell) diskriminierend und gewaltvoll verhalte. Für mich sind caring Communities auch verantwortungsvolle Communities, in denen es eine Sensibilität dafür gibt, dass es keine Räume ohne Gewalt und Diskriminierung gibt und in denen Handlungsstrategien gemeinsam entwickelt werden. Diskriminierungssensible Räume zu schaffen beinhaltet deswegen für mich auch zu lernen, mit Kritik umzugehen.

Wenn ich Workshops zu diskriminierungssensibler Zusammenarbeit (im Rahmen von meiner Arbeit bei LesMigraS/ Lesbenberatung Berlin) gebe, dann sammle ich mit den Teilnehmer_innen Antworten zu den Fragen:
Wie möchte ich Kritik an anderen äußern?
Wie möchte ich mit Kritik umgehen?
Die Fragen fordern heraus. Vor allem der Perspektivwechsel auf sich selbst als Person, die Kritik erhält, macht einen Unterschied. Ich bin davon überzeugt, dass ein verantwortungsvoller Umgang mit Kritik gelernt werden kann. Dazu gehört für mich auch eine Sensibilität dafür, wer aus welcher Position Kritik an wem äußert. Wenn es um diskriminierendes Verhalten geht, dann ist es Teil von Diskriminierungsstrukturen. Die geäußerte Kritik richtet sich dann nicht nur gegen das konkrete Verhalten von mir, sondern verweist auch immer auf die Machtverhältnisse, in denen mein Verhalten stattgefunden hat. Wenn ich mit Kritik umgehe, sollte das Teil davon sein.


Don't be sorry, be responsible.
In den Workshops zu Beziehungsskills vom Northwest Network gibt es eine Übung, in der es um unterschiedliche Umgangsmöglichkeiten mit Kritik geht. Den Teilnehmer_innen wird ein geschriebener Dialog zwischen zwei Personen zum Lesen gegeben. Nach der gleichen Ausgangssituation, in der eine Person Kritik am Verhalten der anderen Person äußert, gibt es drei Erzählungen, wie es weiter gehen könnte. Die Teilnehmer_innen werden gebeten, sich in die Rolle der verletzten Person zu versetzen und zu sagen, wie sich der Umgang mit der Kritik durch die andere Person anfühlt. Ich werde hier nicht das konkrete Beispiel aus den Workshops wiedergeben, sondern ein paar Schlüsselsätze für die drei Herangehensweisen vorstellen.


1) Zurückweisung
"Ich verstehe nicht, was dein Problem ist."
"Ich finde deine Reaktion total übertrieben."
"Du hast dich auch nicht so cool in der Situation verhalten."
"Immer kommst du mit deinen Filmen/ Psychos an. Dich interessiert überhaupt nicht, was das mit mir macht."

Diese Sätze sind eine Form, die Kritik zurückzuweisen und das benannte Problem zum Problem der anderen Person zu machen. Hier wird das Erleben und die Kritik der anderen Person als unberechtigt erklärt. Wenn ich diese Herangehensweise wähle, merke ich, dass es mir viel dabei um Selbstschutz geht und ich mein eigenes Verhalten nicht in Frage stellen möchte.

Alternativ: Wenn ich mit Kritik umgehe, dann ist es mir wichtig, der anderen Person zu vermitteln, dass ich die Kritik gehört habe. Ich möchte sicher gehen, dass ich wirklich alles verstanden habe, damit ich überlegen kann, was davon ich annehmen möchte und was nicht. Mir ist es wichtig, Wertschätzung und Dankbarkeit dafür zu zeigen, dass ich der anderen Person wichtig genug bin, dass sie mir Kritik gibt.


2) Selbstabwertung
"Ich bin so ein Arsch."
"Ich tue dir immer nur weh."
"Ich kann einfach nichts richtig machen."

In diesen Äußerungen wird die Kritik an der konkreten Situation verallgemeinert. Es geht nicht um eine bestimmte Verhaltensweise. Auch wenn es erstmal so wirkt, als würde die Kritik angenommen werden, so geht es auch hier nicht um die andere Person und deren Empfinden. Die Kritik geht in einer Spirale der Selbstabwertung verloren. Die kritisierte Person macht sich selbst handlungsunfähig. Es geht nicht um Veränderung. Wenn ich "immer" oder "nie" sage, dann ist das für mich meistens ein Zeichen dafür, dass ich gerade nicht in der konkreten Situation bleibe, sondern beginne, mich selbst als ganze Person abzuwerten.

Alternativ: Wenn ich mit Kritik umgehe, dann ist es mir wichtig, bei der konkreten Situation zu bleiben. Es ist mir wichtig, die Kritik als Kritik an meinem Verhalten und nicht an meiner Person anzunehmen. Dadurch wird es mir möglich, darüber nachzudenken, wie ich mein Verhalten verändern möchte. Außerdem möchte ich auf die Gefühle der anderen Person eingehen und fragen, was ich zur Unterstützung machen kann. Ich möchte wertschätzend damit umgehen, dass die andere Person sich gerade mir gegenüber geöffnet hat und eigene Verletzungen benannt hat. Von dem möchte ich nicht ablenken, indem ich mich in Selbstabwertung stütze. Selbstabwertung ist meistens auch eine Form von Selbstmitleid. Es geht erstmal nicht darum, was die Kritik mit mir emotional macht. Ich kann mir andere Räume suchen, in denen ich mich auf mich selbst fokussieren kann.


3) Verantwortungsvoller Umgang
"Es tut mir leid, wie ich mich verhalten habe. Das war nicht okay/ das war diskriminierend/ gewaltvoll."
"Danke, dass du mir deine Kritik mitteilst."
"Ich möchte mein Verhalten gerne ändern. Ich hab Ideen, was ich anders machen möchte. Hast du konkrete Wünsche?"
"Was brauchst du gerade?"

Ich möchte der anderen Person vermitteln, dass ich die Kritik verstanden habe und sie als Möglichkeit begreife zu lernen. Mir ist es wichtig, die Verletzungen und Gefühle der anderen Person anzuerkennen und (wenn das gewünscht ist) auf diese einzugehen. Ich weiß, dass eine Entschuldigung wichtig ist, aber nicht ausreicht. Deswegen will ich Strategien entwickeln, mich in Zukunft verantwortungsvoller zu verhalten. Teil von verantwortungsvollem Verhalten ist es, mich mehr darüber zu informieren, warum mein Verhalten diskrminierend war. Dafür kann ich auf verschiedene Ressourcen verwenden. Die Person, die mich kritisiert hat, ist die falsche Adresse für meine Fragen. Es ist gut, wenn meine Veränderungsstrategien so konkret wie möglich sind. Am wichtigsten ist, dass ich diese Strategien auch tatsächlich umsetze und nicht nur darüber rede, wie es besser wäre.


Wie möchtest du mit Kritik umgehen?
Wie möchtest du Kritik von anderen an deinem Verhalten einladen?
Woran erkennst du, ob du gerade (nicht) verantwortungsvoll mit Kritik umgehst?

4 Kommentare:

  1. Mir fehlt in diesem Text die Möglichkeit, dass die Kritik unberechtigt ist oder dass man sie nicht teilen kann. Zum Beispiel könnte die Kritik von einem politischen Standpunkt aus formuliert sein, mit dem man nicht übereinstimmt. Kritik zurückzuweisen kann deshalb auch durchaus die richtige Reaktion sein.

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    1. Ich würde dir zustimmen, dass es durchaus Situationen gibt, wo es wichtig ist, Kritik zurückzuweisen. Für mich sind das Äußerungen, die gewaltvoll oder diskriminierend sind (wobei ich hier auch vorsichtig wäre, weil Kritik auch häufig als gewaltvoll oder diskriminierend abgewehrt wird). Als Beispiel fallen mir Situationen ein, die häufig als umgekehrter Sexismus bezeichnet werden. Wenn ich also dafür kritisiert werde, dass ich mit Räumen für FrauenLesbenTrans* Cis-Männer diskriminieren würde, dann weise ich diese Kritik zurück, weil in der Kritik strukturelle Machtverhältnisse ausgeblendet werden. Wenn aber zum Beispiel kritisiert wird, dass sich Trans* häufig in FrauenLesbenTrans*-Räumen nicht wohl fühlen oder dass diese Räume häufig in anderer Hinsicht nicht diskriminierungssensibel gestaltet werden, dann will ich die Kritik annehmen und über Veränderungsmöglichkeiten nachdenken. Nicht immer ist Kritik widerspruchsfrei. Um mit Kritik umzugehen, muss ich mich manchmal auf Widersprüche einlassen und mich in Situationen begeben, bei denen ich noch nicht die Antwort oder Lösung parat habe.
      In meinem Text wollte ich aber auch dazu einladen, sich selbst nicht immer auf der richtigen politischen Position zu imaginieren. Wie entscheide ich, dass eine Kritik unberechtigt ist? Was sind meine Kriterien dafür? Finde ich eine Kritik dann unberechtigt, wenn sie mich unwohl fühlen lässt? Stimme ich vielleicht mit dem politischen Standpunkt nicht überein, weil ich für das Thema noch nicht ausreichend sensibilisiert bin? Ich kann von mir selbst definitiv sagen, dass sich meine politische Standpunkte über die Jahre sehr verändert haben und dass dafür Kritik von anderen sehr entscheidend war, auch wenn mir die Positionen, aus denen heraus die Kritik formuliert wurde, nicht immer vertraut waren.
      Vielleicht geht es mir auch darum die Unterscheidung zwischen berechtigter Kritik und unberechtigter Kritik zu hinterfragen. Ich kann mir eine Kritik erstmal anhören. Ich kann selbst entscheiden, was ich von der Kritik annehmen möchte oder nicht. Was ich mit der Kritik mache, bleibt mir überlassen. Ich kann entscheiden, ob ich aus der Kritik Impulse für Veränderung ziehe. Kritik kann Veränderung ermöglichen.

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  2. Was ist der Unterschied zwischen "Ich bin so ein Arsch." und "Es tut mir leid, wie ich mich verhalten habe. Das war nicht okay/ das war diskriminierend/ gewaltvoll."? Das eine ist höflicher zu sich selbst, beides ist aber eine Selbsterniedrigung.

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    1. Für mich besteht der Unterschied zwischen den beiden Aussagen unter anderem darin, dass es in der ersten Aussage um mich als Person geht und in der zweiten Aussage um mein Verhalten. Mein Verhalten kann ich verändern. Es geht mir bei einer solchen Aussage nicht darum, mich selbst zu erniedrigen, sondern darum Verantwortung für mein Verhalten zu übernehmen. Während die erste Aussage mich handlungsunfähig macht (Tja, ich bin halt ein Arsch und kann auch nichts dran ändern), kann ich bei der zweiten Aussage ins Handeln kommen. Ich kann reflektieren, was genau ich an meinem Verhalten selbst kritikwürdig halte und mir überlegen, was ich das nächste Mal anders machen möchte. Ich kann darüber nachdenken, was zu diesem Verhalten geführt hat (Ich kenne es von mir selbst, dass es oft keine böse Absicht war, sondern dass ich zu wenig über die Auswirkungen meines Handelns auf andere nachgedacht habe). Mit dem Anerkennen, dass ich mich gewaltvoll oder diskriminierend verhalten kann, fällt es mir leichter auch daran zu arbeiten, dieses Verhalten abzubauen - in dem Wissen darum, dass es ein aktiver Prozess ist, dies zu verändern. Mir geht es also darum, genau nicht in einer Selbsterniedrigung stecken zu bleiben, in der ich mich nur um mich selbst drehe.

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