Dienstag, 20. August 2013

Wertschätzung geben

Es gibt eine Redewendung, die heißt: Hast du nichts Gutes zu sagen, dann sag lieber gar nichts.
Ich bin wohl eher mit der umgekehrten Redewendung groß geworden: Sag nichts, wenn du nichts Schlechtes zu sagen hast. Und es gab verschiedene Varianten, etwas Schlechts zu sagen: mein Gegenüber (auf nicht sehr freundliche Art) kritisieren, sich über Dritte aufregen, sich selbst schlecht machen, jammern, die Welt und das Leben an sich furchtbar finden, ...

Ich bin immer noch voller Bewunderung, wenn ich Menschen treffe, die scheinbar ohne Limit ihre Wertschätzung und Anerkennung aussprechen. In vielen Situationen bin ich gleichzeitig irritiert und manchmal auch unangenehm berührt davon.
Mir selbst fällt es häufig schwer, meine Wertschätzung für andere auszudrücken. Irgendwie denke ich, dass ich mich dadurch verletzlich machen würde. Vielleicht liegt es daran, dass Wertschätzung ja auch eine Form ist, Zuneigung mitzuteilen und ich dann Angst habe, dass diese Zuneigung zurückgewiesen werden könnte. Ich spüre meine Vorsicht, mit offenem Herzen in Kontakte zu gehen.

Umgekehrt fällt es mir auch schwer, Wertschätzung anzunehmen. Manchmal habe ich regelrecht den Eindruck, dass sich meine Wahrnehmungsfähigkeit ausschaltet, sobald eine Person damit beginnt, ihre Wertschätzung auszudrücken. Irgendwie kann ich dann nicht richtig aufnehmen, was die andere Person gerade kommuniziert hat. Und selbst wenn ich es irgendwie aufnehme, dann denke ich häufig, dass ein Danke nicht ausreicht. Ich hab das Gefühl, die Wertschätzung zurückgeben zu müssen, indem ich die Wertschätzung wertschätze. Wie oft hatte ich schon das Bedürfnis, ein Like auf Facebook liken zu können.

In der letzten Zeit ist mir etwas Interessantes aufgefallen: Je mehr ich Wertschätzung gebe (auch wenn es mich anfangs vielleicht Überwindung kostet), desto mehr nehme ich Dinge wahr, die ich wertschätzen möchte. Ich hab das Gefühl, dass Wertschätzung - wie so viele Sachen - eine Frage der Übung ist. Mit welchen Worten möchte ich Wertschätzung aussprechen? Welche Worte fühlen sich für mich gut an, welche zu pathetisch und welche zu banal? In welchen Situationen und über welche Kommunikationswege teile ich gerne Wertschätzung mit? Welche Gefühle und Formen der Zuneigung empfinde ich in dem Moment für die andere Person? Und möchte ich diese mitteilen?
Je mehr ich mich in Wertschätzen übe, desto mehr kann ich in mir eine Fülle an Wertschätzung und Zuneigung finden, die ich zum Ausdruck bringen möchte. Je mehr ich sie ausdrücke, desto mehr verliere ich meine Scheu und meine Angst, dass irgendwas Schlimmes passieren könnte.
Ich wehre mich gegen den Glaubenssatz, den ich jahrzehntelang verinnerlicht habe. Und es fühlt sich gut an.

Lange habe ich Wertschätzung mit Lob verwechselt. In der Schule bin ich viel für meine Leistungen gelobt worden und ich dachte, dass das Wertschätzung wäre. Immer noch kann ich mir häufig nur dann selbst Anerkennung geben, wenn ich etwas geleistet habe. Damit knüpfe ich Wertschätzung daran, was ich mache. Bei anderen fällt mir auf, dass ich Wertschätzung dafür ausspreche, wie sie (in der Welt) sind. Ich nehme an anderen stärker ihre Kämpfe wahr und ich bewundere ihr Durchhalten, Weitermachen, ihren Mut und die kleinen Veränderungen. Dafür möchte ich meine Bewunderung und meine Wertschätzung stärker zum Ausdruck bringen. Ich möchte andere in dem, wie sie sich durch die Welt bewegen, an_erkennen.

Irgendwie möchte ich mit diesem Text ein Plädoyer für mehr Mut zu mehr Wertschätzung aussprechen. Wertschätzung ist für mich auch eine Form des kollektiven Empowerments - eine gegenseitige Ermutigung, sich zu zeigen und sich in der Welt zu bewegen. Eine Form des Protests gegen all die Auswirkungen von Machtverhältnissen, gegen die es manchmal schwer sein kann Selbstvertrauen und Selbstliebe aufrecht zu erhalten.

Wem möchtest du deine Wertschätzung mitteilen?
Wofür möchtest du dir selbst Wertschätzung geben?
Wie sollte dir Wertschätzung gegeben werden, damit du sie leicht(er) annehmen kannst?
Was hält dich davon ab, Wertschätzung mitzuteilen?
Was hält dich davon ab, Wertschätzung anzunehmen?
Was ist dir an Wertschätzung wichtig und könnte dir dabei helfen, es mehr zu tun?

Freitag, 2. August 2013

Gleichzeitigkeiten leben

Ich will mich der Herausforderung stellen, Gefühle in ihren Komplexitäten, Widersprüchlichkeiten und Verquickungen zuzulassen.
Wenn ich erlebe, wie unterschiedliche Emotionen gleichzeitig präsent sind, finde ich es häufig schwierig, nicht ein Gefühl mich komplett ausfüllen zu lassen; nicht ein Gefühl auf alle erlebten Situationen zu übertragen. Ich merke, wie schlechte Gefühle schnell mehr Dominanz in mir gewinnen. Ich verweigere mir manchmal, mich in manchen Momenten gut zu fühlen, wenn ich auch noch Sorgen, Krisen oder Zweifel in mir trage. Doch ich lerne auch, dass ich mich trotz allem gut fühlen darf. Ich lerne, mir auch die Erlaubnis zu geben, Gefühle in ihren Gleichzeitigkeiten zu leben.

In den letzten Wochen haben mich verschiedenste Gefühle ausgefüllt:
mir Sorgen machen um Menschen in emotionalen_körperlichen Krisen
Zuversicht leben
Konflikte wahrnehmen, erleben und durchleben
Freude mit_teilen
Zweifel aussprechen und anhören
Ängste und Unsicherheiten in die Zeiten und Orte einsortieren, wo sie hingehören
Sehnsüchte spüren
Verbundenheiten und Verbindungen ausdrücken

Die Gleichzeitigkeiten von Gefühlen zu leben bedeutet für mich auch, ein Stück weit die Kontrolle über meine Emotionen aufzugeben - die Kontrolle darüber, welche Gefühle ich in mir groß werden lasse. Schlechte Gefühle sind mir vertraut. Ich hab mich in ihnen eingerichtet. Sie sind das, was mir bekannt ist und wofür ich meine Bewältigungsstrategien gefunden habe. Ihnen gebe ich deshalb Vorrang, manchmal nehmen sie sich aber auch einfach den Platz. Dann ist das auch okay, weil ich weiß, dass ich wohlwollend mit mir selbst umgehen muss, wenn mich Traurigkeit oder Verzweiflung überwältigt. Ich weiß, dass sich Krisen und Konflikte ihre Räume schaffen und dass es mich meist mehr Kraft kostet, wenn ich sie nicht annehme und (dadurch meist auch als irgendwie bewältigbar) erlebe. Mir macht es aber auch Angst, meine Schutzmechanismen aufzugeben, meine Wände runterzufahren, um präsenter zu sein für die Bandbreite meiner Gefühle. Es braucht ein Zulassen, ein Einlassen. Nicht immer gelingt mir das. An welchen Orten und mit welchen Menschen fühl ich mich sicher genug für dieses Zulassen und Einlassen?

Kontrolle und Entscheidungsfähigkeiten waren lange Zeit zwei Dinge, die für mich eng miteinander verknüpft erschienen. Ich dachte, wenn ich mich nicht stark kontrolliere, dann kann ich auch nicht entscheiden. Mit Gefühlen erlebe ich aber, dass, auch wenn ich Gefühle zulasse, ohne sie gleich zu kontrollieren, ich mich trotzdem manchmal entscheiden kann, worauf ich meinen Fokus lenke. Suche ich bewusst nach den noch so kleinen Glücksmomenten in meinem Tag? Freue ich mich über die Dinge, die mir Freude bereiten? Für mich sind das zum Beispiel Eichhörnchen im Park, blauer Himmel, ein Lächeln auf der Straße, meine Herzensmenschen. Manchmal helfen mir diese kleinen Momente, mich wieder ein bisschen für die Komplexitäten von Gefühls- und Erlebenswelten zu öffnen. Manchmal ist das Einzige, was ich tun kann, es irgendwie zu registrieren, auch wenn es in dem Moment nicht emotional zu mir durchdringt. Ich versuche, diese Momente dann irgendwo in mir abzuspeichern, um sie wieder herauszuholen, wenn meine Rüstung wieder ein bisschen löchriger geworden ist.

Und dann gibt es aber auch die Momente, in denen mich Lebensfreude komplett ausfüllt. Nicht immer ist es mir leicht gefallen, diese zuzulassen. Ich konnte sie mir nicht erlauben, weil ich wusste, dass Krisen (meine und die anderer) um die Ecke auf mich warten. Mittlerweile sind diese Lebensfreude-Momente für mich zu einem wichtigen Trotzdem geworden. Eben weil die Krisen (gleichzeitig) da sind, will ich mich meiner Lebensfreude komplett hingeben, wenn sie da ist. Ich will in diesen Momenten durch die Straßen schweben können, ohne mich dafür rechtfertigen zu müssen. Und wenn ich andere in ihrer Lebensfreude erlebe, versuche ich, die Gleichzeitigkeiten und das Trotzdem dieser Momente wahrzunehmen - und mich nach Möglichkeit gleichzeitig und trotzdem mitzufreuen.

Wie erlebst du Gleichzeitigkeiten und Ungleichzeitigkeiten, Vereinbarkeiten und Unvereinbarkeiten von Gefühlen?
Was machst du mit diesen?
An welchen Orten und mit welchen Menschen fühlst du dich sicher und wohl, um Gleichzeitigkeiten von Gefühlen zulassen zu können?
Welche Gefühle sind (meistens) dominant?